Huthis sprengen das Internet, während Putin mit Werbung aufgespürt wird – #104
Schiffe genießen mehr Aufmerksamkeit als Unterseekabel. Selbst 2024. 2024 ist aber auch das Jahr, in dem man Diktatoren mit Werbung auf die Schliche kommen will.
Bundeswehrgeneräle wurden bei ihrem WebEx-Call von Russland abgehört. Da bin ich ja mal gespannt, was uns dadurch noch für Debatten über den Einsatz von Technologie in der Verwaltung erwarten. Schlimmstenfalls wird alles, was sich während der Corona-Pandemie etabliert hat, wiederrückabgewickelt. Es gibt jetzt schon Gerüchte, dass der Spion sich einfach per Telefon eingewählt hat und niemandem was auffiel. Wir werden abwarten, was rauskommt. Häufig sitzt das Problem ja auch vor dem Bildschirm. Aber oft kann man es Leuten aus der Verwaltung nicht verübeln, wenn sie sich Workarounds suchen oder private Geräte benutzten. Was ich schon erlebt habe an Einstellungen bei Videokonferenzlösungen der öffentlichen Hand und wie schlecht sie benutzbar sind – halleluja, das wünscht man niemandem! Bei manchen ist es wirklich eine Qual sich überhaupt einzuwählen. Bei anderen muss man sich noch zusätzlich per Telefon dazu schalten. Ich glaube ja: Ein bisschen mehr Nutzerzentrierung, ein bisschen mehr Handhabbarkeit von digitalen Lösungen in der Verwaltung – auch bei den sichersten – würde wirklich guttun. Denn ich glaube nicht, dass gute User-Experience und Sicherheit sich einander ausschließen. Aber die superduperkrass hohen Einstellungen für die simpelsten Dinge verleiten regelrecht zum Workaround. Und wenn ich dann noch auf Twitter lese, wie innerhalb des Bundestags mit PDFs, die eigentlich Verschlusssache sind, umgegangen wird. Ohweia.
Nun denn, hoffen wir auf bessere Tools, bessere Schulungen für die Nutzenden und machen endlich was aus der Erkenntnis, dass der Kreml sich in einem Informationskrieg gegen uns befindet (die fehlte wohl bisher in der ausgesprochenen Deutlichkeit).
Aber: die Amerikaner können Putin wohl dank Datenbroker und Werbung finden. Dazu mehr in diesem Newsletter. Viel Freude beim Lesen – ich würde mich freuen, wenn Ihr ihn weiterleitet und auf Social Media empfielt!
Ann Cathrin 🐭
Hat’s wer mitbekommen? Die Huthis haben Unterseekabel angegriffen
Im Roten Meer haben die Huthis vier Unterseekabel erfolgreich angegriffen und damit die Internetverbindung. Laut Daniel Voelsen auf Twitter, sind dies wohl ältere Kabel. Auch im oben verlinkten Artikel steht, dass die Internetverbindung wohl aufgefangen werden kann durch andere Verbindungen – u.a. über die Golfstaaten und Indien. Daniel Voelsen weist aber auch darauf hin, dass die Reparatur schwierig werden kann, denn mit weiteren Huthi-Angriffen kann man hier rechnen. Interessant finde ich vor allem zwei Sachen:
Irgendwie interessiert es niemanden. Mein Reden bei diesen Themen, aber nun gut. Ich habe mal bei Google (News) geguckt und an deutschsprachigen Medien fand ich da quasi nichts, vor allem nichts von den großen Zeitungen (ich las auch nichts in einer).
Vor drei Wochen gab es aber zwei, drei Artikel zum Thema der Möglichkeit eines Angriffs auf die Unterseekabel durch die Huthis. Aufgenommen haben den tatsächlichen Angriff die entsprechenden Medien aber nicht. Bei T-Online meine der Experte, der dazu zu Wort kam, dass er das für eher abwegig hält, da die Huthis dafür gar nicht die Ausrüstung hätten. Tja.
Wer mehr zum Thema lesen will:
Das von ihm kürzlich herausgegebene Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu kritischen Infrastrukturen auf den Weltmeeren.
Ferdinand Gehringer beschäftigt sich bei der Konrad-Adenauer-Stiftung ebenfalls ausführlich mit Unterseekabeln.
Und ich habe mir für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit die Bedeutung von u.a. Unterseekabeln für den globalen Systemwettbewerb, der auch im Digitalen spielt, angeguckt (für den sich aber keiner interessiert, s.o. 🙃)
Geodaten verraten sogar Putin
In der letzten Ausgabe schrieb ich über das Problem der Geodaten, die in den USA im großen Stil von Datenbrokern gehandelt und auch von Strafverfolgungsbehörden gekauft werden. Dieser Artikel in der Wired erklärt nicht nur ganz wunderbar, wie das technisch funktioniert, dass diese Datenbroker bzw. Werbeanbieter (die Cookies!) massenhaft Daten sammeln und sie genau einer Person zuordnen können, obwohl eigentlich(!) alles anonym übertragen wird. Der Artikel zeigt nicht nur, wie mithilfe dieser Daten Migrationsströme von syrischen Flüchtlingen nachvollzogen werden konnten, man hat auch die Entourage von Wladimir Putin ausmachen können. Liest sich wie ein Krimi.
Und damit andere Staaten sowas nicht nachmachen können, denn das geht natürlich auch andersrum, hat Präsident Biden eine Executive Order erlassen, die den Verkauf solcher Daten nach Russland und China verbietet.
Digitale Gewalt gegen Kandidatinnen
Die Europawahlen stehen vor der Tür, ebenso wie Kommunalwahlen und die Wahlen im Osten. Aber abgesehen von Deutschland wählt fast die ganze Welt in diesem Jahr. Daher sollten wir uns nicht nur mit Desinformation, Demokratie generell und ganz physischen Übergriffen auf Politiker:innen beschäftigen, sondern auch über geschlechtsspezifische Gewalt gegenüber Politikerinnen. Auch das ist ein Phänomen, das weltweit auftritt. Ein noch so emanzipiertes Land ist davon verschont – im Gegenteil. Taylor Swift rettet nicht nur die US-Ökonomie und macht Donald Trump Beine, sie sorgt auch leider dafür, dass wir endlich mal – zumindest ein bisschen – über das Thema DeepP*orn sprechen, also die Manipulation von p*ornografischen Bildern, um Frauen zu diskreditieren. Die meisten der DeepFakes – über 90 Prozent – sind solche Aufnahmen. Wir reden aber generell nur über den kleineren (Bruch-)Teil, die politischen DeepFakes. Interessant eigentlich, dass da die diskreditierenden Manipulationen von Politikerinnen gar nicht drunter fallen, oder? In diesem Wahljahr werden wir davon sicherlich leider mehrere Vorfälle erleben. Und sie sind in keiner Weise harmlos: weder für die Frauen, die darunter massiv psychisch leiden, teilweise sogar den Tod fürchten müssen, noch für uns als Gesellschaft. Denn als Gesellschaft generell sollte es uns kümmern, ob sich Menschen frei von Angst im politischen Diskurs einbringen und für ein Mandat kandidieren können. Das ist (für Frauen) immer weniger der Fall.
Meta will übrigens auf seinen Plattformen – Facebook, Instagram und Threads – politische Inhalte runterschrauben. Sie geben also auf die Inhalte zu moderieren. Absolutes Versagen meiner Meinung nach. Vor allem: wann fängt das Politische an? Nur weil ich eine Partei, eine Kandidatin, eine NGO bin, bin ich politisch? Wenn ich mir gerade angucke, was für ein Frauenbild durch evangelikale Kanäle und #Tradwife Accounts auf Instagram niedrigschwellig propagiert wird – oder ich erinnere an den Podcast aus dieser Ausgabe – dann ist das nicht nur naiv. Im übrigens sollten da auch diverse andere Akteure mal einen Blick darauf behalten, was so im Internet passiert und diese “Trends” ernst nehmen. Ich glaube, da rollt eine ordentliche Welle auf uns zu, die recht viel Liberalisierung wieder rückabwickeln will. Und das sind junge Leute.
Geplatzt: Der Traum vom autonomen Fahren
Ob das je was wird, mit dem autonomen Fahren? Wohl eher nicht. Ilja Radusch beschreibt in diesem Interview die Erkenntnisse aus Praxis und Forschung. Man hat die Komplexität beim autonomen Fahren einfach unterschätzt. Auf absehbare Zeit wird das also nichts. Super spannend fand ich vor allem Folgendes:
Während wir dachten, dass durch autonomes Fahren z.B. Taxifahrer:innen ersetzt werden können, die es durch den Fachkräftemangel evtl. gar nicht mehr genug gibt, zeigt die Praxis, dass ich pro autonomen Fahrzeug 1,5 Vollzeitstellen benötige, um es zu betreuen. Dabei dachte man, eine Person für zehn Fahrzeuge könne ausreichen. Auch wirtschaftlich ist das nicht.
In einem Gebiet, in dem nur autonome Fahrzeuge und Fußgänger:innen unterwegs sind, müsste die Geschwindigkeit aus Sicherheitsgründen 20-30 km/h betragen. Für Taxis würde sich auch das nicht lohnen. Bahn und Tram wären hier wirtschaftlicher.
Die wahrscheinlichsten Einsatzmöglichkeiten sieht Ilja Radusch bei Zügen im Regionalverkehr. Aber auch das wird dauern.
Buchtipps
Dieses Mal gibt es nichts zu Digitalpolitik, sondern zu zwei anderen meiner Interessensgebiete:
Welche Rolle haben eigentlich die Golfstaaten in der aktuellen geopolitischen Gemengelage? Sebastian Sons hat sich das in seinem Buch “Die neuen Herrscher am Golf und ihr Streben nach globalem Einfluss” genauer angesehen. Die Golfstaaten, so Sons, wie auch Diplomat:innen und Unternehmer:innen, sind eine Leerstelle in den Strategien Deutschlands. Ein Fehler, wie insbesondere durch das Buch deutlich wird.
Gudrun Krämer, einer der renommiertesten Islamwissenschaftler:innen Deutschlands (und davon haben wir einige, man lässt nur gerne andere “Expert:innen in Debatten zu Wort kommen), hat sich in einem wirklich exzellenten Werk das Leben von Hasan al-Banna, dem Gründer der Muslimbruderschaft und damit dem Architekten des nicht-jihadistischen Islamismus, nachgezeichnet. Dieses Werk strotzt nur so vor Detailwissen. Gudrun Krämer hat sich durch die zugänglichen Archive der Muslimbrüder gewühlt – das merkt man sehr. Gleichzeitig bekommt man einen sehr guten Einblick in das Leben im Ägypten der 20er bis 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Mit ein bisschen Arabischkenntnissen macht das Lesen etwas mehr Spaß, wobei Krämer alles übersetzt, aber für Unwissende nicht jeden Begriff einführt. Dennoch liest sich das Buch sehr gut und wer sich für das Thema interessiert, sollte es lesen.
Und sonst noch…?
Habt Ihr auch das Meme mit der grün haarigen Frau hinter einem Chemiebaukasten gesehen? Viele (inkl. mir) haben sich gefragt, woher das kommt. Aus Glasgow. Dort hat ein Unternehmen mit KI-generierten Bildern für ein magisches Erlebnis für Kinder geworben. Willy Wonkas Welt sollte nachgebaut werden und nun ja: Die Kinder waren extrem enttäuscht. Und das Internet bekam ein neues Meme.
KI beim Militär? Eine große Sorge für viele. Den Terminator schließt Ulrike Franke in diesem Interview zwar aus, sie rät trotzdem bei den technologischen Entwicklungen im Bereich KI beim Militär mitzugehen. Interessant für mich war besonders diese Aussage: “biologische und chemische Waffen [wurden] nicht primär deshalb verboten, weil sie schlimm sind. Der ehrliche Grund ist, dass sie militärisch nicht so wichtig waren. Bei KI ist das Gegenteil der Fall.”
Die Bundesnetzagentur wird die Chefaufseherin für den europäischen Digital Services Act. Das ist zwar noch nicht offiziell in ein Gesetz gegossen, denn Deutschland verspätet sich bei der Verabschiedung des nationale Digitale Dienste Gesetzes, auf EU-Ebene darf die BNetzA sich dennoch schon mit den Partnern austauschen. Der Präsident der BNetzA, Klaus Müller, im Interview.
Verstörend, dass diese Chatbot überhaupt benötigt wird: Bei P*rn Hub hat ein Chatbot 4,4 Millionen auf Suchanfragen zu Kindesmissbrauchsmaterial, die Sucher dort eingetippt haben, auf die Illegalität der gesuchten Inhalte hingewiesen, die Seite geblockt und auf Hilfsangebote verwiesen. Eine Analyse hat ergeben, dass Suchanfragen wie diese dadurch über die Zeit gesunken sind.
Internationale Verwaltungsdigitalisierung. Beneidenswert: Frankreich hat jetzt den Führerschein und den Ausweis auch digital auf dem Handy. Gut für die Einordnung Deutschlands im weltweiten Fortschritt der Verwaltungsdigitalisierung: Japan hat jetzt die Floppy-Disk abgeschafft und durch USB-Sticks ersetzt. Diese wurden immer noch für die Übermittlung von Zahlungsanweisungen an die Banken genutzt. Zum Umschwung kam es, weil die Banken die Gebühr hierfür drastisch erhöht haben. Auf die Frage, wie lang die ministeriellen Lagerbestände für Floppy-Disks noch gereicht hätten, gibt der Artikel leider keine Antwort.
Verwaltung kann ein super Treiber für Bürokratieabbau sein. In einer Anhörung im Bundestag wurden dazu viele spannende Dinge gesagt. Und ich plädiere auch: baut innerhalb der Verwaltung Bürokratie ab!
Souveränität bei KI. Nun ja. Der französische europäische Frontrunner Mistral kooperiert nun mit Microsoft, die auch schon massiv in OpenAI investiert haben. Open Source ist ihr neustes Modell auch nicht mehr.
Um China ist es erstaunlich leise, wenn es um generative KI geht. Das liegt wohl an der fehlenden Technologie, die es dafür braucht. Zum Beispiel Chips. Die leistungsfähigsten kommen durch US-Sanktionen nicht mehr ins Land. Und auch die chinesische Regulatorik macht es schwer, generative KI zu entwickeln.
Sehr gute Beobachtung zu politischen Inhalten auf Threads / Instagram. Mein Threads-Feed liest sich wie die "Vermischtes"-Seite einer mittelmäßigen Illustrierten. Kann man machen. Lädt aber geradezu zu Astro-Turfing ein: Als rechtspopulistische Partei könnte ich das Netzwerk z.B. tausende von "persönlichen" Geschichten über angeblich schlechte Erfahrungen mit Migration fluten (lassen) mit dem Ergebnis, das die politische Unterstützung für meine Partei wahrscheinlich steigt. Umgekehrt wird es für Bewegungen wie "MeToo" oder BLM wesentlich schwieriger sein, für ihr Anliegen zu werben ...
Thankies! Tolle Zusammenstellung!