Überall Gefühle – #107
Ein bisschen Stolz, ein bisschen Freude, ein bisschen Glückseligkeit. Gefühle und Emotionen prägen uns mehr, als wir drüber reden.
Eine ziemlich aufregende Woche liegt hinter mir. Gleich zweimal durfte ich unseren Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeiner treffen. Einmal zu seiner Buchvorstellung des Buches “Wir” und einmal in einem sehr kleinen Kreis zusammen mit dem estnischen Präsidenten Alar Karis. Der GovTech Campus hatte neben mir noch vier weitere Deutsche und fünf Esten eingeladen um mit den beiden Präsidenten über die Bedeutung von Technologie für die Demokratie zu diskutieren. Wie immer war die Zeit viel zu knapp für die ganze Themenbreite, die es hier zu diskutieren gibt. Mir war wichtig, auf die Perspektive der Menschen hinzuweisen. Daher habe ich sehr komprimiert gesagt, was ich in der letzten Ausgabe schrieb.
Weil es sich ergab und das Thema Desinformation aufkam, habe ich auch dazu meine Gedanken geteilt, sie sich in den letzten Wochen konkretisiert haben. Dazu war ich auch ein bisschen “gezwungen”, da ich abermals zum for..net Symposium von Prof. Dr. Dirk Heckmann eingeladen wurde. Das, wie ich gerne sage, herzlichste und fachlich hochkarätigste Symposium das ich kenne. Generell – nicht nur zum Thema Digitalisierung und Recht. Bei dem diesjährigen Symposium sollte ich neben den beiden Jurist:innen Chan-jo Jun und Tahireh Panahi eine gesellschaftliche Perspektive auf das Thema “Demokratiegefährdung durch Desinformation und Deep Fakes” einbringen. Da das Feedback so gut war und mir generell die Perspektive auf das Thema Emotionen bei der Bekämpdung von Desinformationen fehlt, habe ich einen Teil meines Impulses verschriftlich. Den Text findet Ihr heute hir im Newsletter.
Ich wünsche Euch noch einen schönen Sonntag
Ann Cathrin 🗞️
Jenseits der Fakten: Emotionen bei Desinformationen ernst nehmen
Bedeutende Wahlen stehen dieses Jahr nicht nur in Deutschland bevor. In Deutschland geht es allerdings um vieles: Die AfD hat große Chancen, in den ostdeutschen Bundesländern stärkste Kraft zu werden. Gleiches gilt für die gern vergessenen, zahlreichen Kommunalwahlen. Auch bei der Europawahl steht die AfD bei über 15 Prozent. Wie immer in den vergangenen Wahljahren krabbelt das Thema “Desinformation” wieder weiter nach oben als Thema des politischen und öffentlichen Diskurses, je näher die Wahltermine rücken. Fast schon panisch werden zahlreiche TikTok-Accounts eröffnet – sogar vom Kanzler –, um den Narrativen der Rechtsextremisten etwas entgegenzusetzen. In politischen Talkformaten oder gar Duellen, will man das Spitzenpersonal der AfD wahlweise “stellen” oder “entzaubern” und glaubt auch nach so vielen Jahren, dass dies möglich sei. Die Umfragen und Wahlergebnisse sprechen eine andere Sprache.
Die Polarisierung der Gesellschaft ist ein großes Thema. Befeuert wird sie unter anderem durch die sozialen Medien und ihre Funktionsweise. Die Algorithmen, die emotionale und verkürzte Inhalte bevorzugen, befeuern diese Polarisierung enorm. Daher ist es nur richtig, die Plattformen und ihre Algorithmen in die Verantwortung zu nehmen und hier auch ggf. zu regulieren. Aber darum soll es in diesem Text nicht gehen. Denn während regelmäßig und zur Genüge über diverse Mechanismen diskutiert wird, die Desinformation und Polarisierung antreiben und über rationale Maßnahmen, wie Fakten und Regulierung, beraten wird, um diese einzudämmen, wird über ein Thema meines Erachtens zu wenig gesprochen: Emotionen.
Der Mensch ist ein rationales Wesen. Davon geht die Ökonomie ebenso aus wie die Politikwissenschaft. Dass er sich auch oder sogar insbesondere von Emotionen treiben und zum Handeln bewegen lässt, sind eher Nischenthemen in den wissenschaftlichen Diskussionen. Um Desinformationen zu bekämpfen, dreht sich die Diskussion seit Jahren um notwendige Faktenchecks, Maßnahmen zum Debunking oder auch Prebunking, um bessere Gesetze und Rechtsdurchsetzung, sofern die Inhalte denn strafbar sind, oder um Medienbildung in der Schule. All diese Gegenmaßnahmen, so richtig sie auch sind, gehen davon aus, dass der Mensch aus rationalen Gründen Desinformationen glaubt und diese weiterverbreitet. Desinformationen triggern jedoch Emotionen. Daher funktionieren sie auch über die Social-Media-Algorithmen so gut.
Jeder, der schon mal ein gebrochenes Herz hatte, wird wissen, dass nichts so wenig bringt wie faktenbasiertes Argumentieren, um das gebrochene Herz zu heilen. “Er war eh ein Arsch” hilft in der ersten Phase mehr, als “ich habe es Dir schon immer gesagt”. Auf Emotionen mit Fakten reagieren, ist ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. Auch mit “beruhig’ Dich mal” hat sich wohl noch nie eine aufgeregte Person beruhigen lassen.
Nun will ich keines Falls dafür plädieren, dass wir auf die Emotionen, die Menschen für Desinformation empfänglich machen, ebenfalls mit Emotionen reagieren sollten. Das würde meines Erachtens nur zu einer stärkeren Polarisierung führen und uns wegführen von einem guten politischen Handeln. Wofür ich aber plädieren möchte, ist stärker über die Emotionen zu sprechen, die die Menschen, die besonders empfänglich sind für Desinformationen, zu reden und Maßnahmen zu ergreifen, die diese Emotionen abschwächen. Was bedeutet, dass die Auslöser dieser Emotionen erkannt und adressiert werden müssen.
Drei vorherrschende Emotionen, die empfänglich machen für Desinformation
Meines Erachtens sind aktuell drei Gefühle vornehmlich dafür verantwortlich, dass Menschen Desinformationen und der AfD anheimfallen: Kränkung, Verlustangst und die Angst vor dem Kontrollverlust. Letzteres wird, so glaube ich, sowohl gegenüber dem Staat empfunden, als auch dem eigenen Leben bzw. Umfeld. Ich beziehe mich hier aber auf Letzteres.
Kränkungserfahrungen machen die, deren Leben nicht (mehr) so läuft, wie es der eigentliche Plan war. Ein Plan, der insbesondere von einer patriarchal geprägten Gesellschaft vorgegeben und auch Bestimmung war. So galt für Männer häufig der Weg: Schule, Ausbildung, Heirat, Hausbau, Kinderkriegen und dann eine heile Ehe führen, ein tolles Auto fahren und den nächsten Karriereschritt machen. Ein Lebensweg, so idealtypisch vielfach gelebt, dass man wenigstens meinen konnte, dass, wenn man den einen Schritt erfolgreich absolviert, der nächste automatisch kommt; er einem auch quasi zusteht – schließlich hatte man sich ja auch abgemüht alles zu tun, was auf der Checkliste für ein gutbürgerliches Leben steht. Doch nun, wo die nächste Beförderung ansteht, kommt auf einmal eine Frau daher, die wegen Gleichstellungsmaßnahmen, den Posten erhält, der einem doch eigentlich selbst zugestanden hatte. Dass ein Posten einem nie “zusteht” und die Frau im Bewerbungsverfahren einfach besser gewesen sein kann, wird eher selten in Betracht gezogen. Es wird eine Kränkung empfunden. Weitere Beispiele dafür gibt es viele: Die eigene Expertise ist nicht mehr gefragt, andere erklären jetzt in den Medien die Welt. Scheidung, Kontaktabbruch der Kinder, all das kann zu Kränkungserfahrungen führen, deren Schmerz dadurch gestillt werden soll, dass Parteien wie die AfD, die wieder die gute alte Zeit zurückbringen wollen, in denen sich die Frauen noch nicht emanzipierten und abwandten oder gar den eigenen Job “weg nahmen”, genau dafür gewählt werden. Dass die AfD das nicht kann und für viele Menschen keine attraktive Sozialpolitik anbietet – eher im Gegenteil – hilft hier als Gegenargument wenig. Ich erinnere an das Gefühl des Herzschmerzes.
Ebenso entsteht vielfach das Gefühl, dass Maßnahmen gegen den Klimawandel, einem den eigenen Wohlstand “wegnehmen”. Ist die Urlaubsreise in die Sonne einmal im Jahr oder das große Auto doch auch ein Symbol des “es geschafft haben”, des “Teil der bürgerlichen Mitte” sein. Viel Verzicht liegt hinter den Errungenschaften. Man arbeitete für diesen Wohlstand – im Zweifel auf Kosten der Ehe und dem Verhältnis zu den Kindern. Und nun kommen “diese Grünen” daher und sagen einem, dass das alles nicht mehr geht, weil wir den Klimawandel bekämpfen müssen. Das kränkt, wenn auf so viel verzichtet, so viel Schmerz ertragen wurde, und jetzt sagen einem “die da oben”, dass man das alles nicht mehr darf und all das Erlittene umsonst war.
Ein weiteres prägendes Gefühl: die Angst vor Verlust. Den Deutschen geht es noch immer recht gut. Doch wer die Medien verfolgt, bekommt mit, dass sich alles nicht mehr so gut anhört, wie vor ein paar Jahren. Es ist wieder Krieg in Europa, die Inflation ist hoch, deutsche Autobauer sind nicht mehr Weltspitze und überhaupt sind unsere Unternehmen nicht mehr die globalen Front-Runner, die sie mal waren. Kein Wunder, dass einen das Gefühl – das nicht mal weit weg ist von der faktischen Lage – des Verlustes des eigenen und gesamtgesellschaftlichen Wohlstandes umtreibt und mit Sorgen erfüllt. Man selbst arbeitet doch so hart und hat für den eigenen Lebensstandard auf so viel verzichtet. Da ist es auch hier kein Wunder, dass Stimmen, die einem einfache Antworten und Lösungen auf die neue globale wirtschaftliche und politische Lage bieten und die Schuldigen benennen (“die EU”, “die Ausländer”, “die Woken”, “die Bürgergeldempfänger” etc.), gerne Zulauf bekommen. Zudem gesellt sich, dass immer weniger Menschen das Gefühl haben, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird, als einem selber.
Das dritte Gefühl im Bunde ist die Angst vor dem Kontrollverlust. In der “guten alten Zeit” ging es uns nicht nur wirtschaftlich gut, es herrschte Frieden in Europa, Geschlechter und Familienbilder waren eindeutig und hielten sich an ihre Rollen, Klimawandel, Digitalisierung und andere Transformationsvorhaben interessierten und tangierten uns nicht und nun ist plötzlich alles da und auch noch alles auf einmal. Jahrelang geglaubte Wahrheiten sind innerhalb kürzester Zeit zusammengebrochen. Wer dachte denn schon, dass einem hier im sicheren Deutschland einmal eine Pandemie trifft, der Krieg so nah ist und einem die Energiepreise so zu schaffen machen. Parallel dazu ändert sich die Welt rasant. Menschen aus anderen Ländern und Kulturen fliehen zu uns, alle reden über KI und man fragt sich, ob man überhaupt noch bei der Arbeit gebraucht wird – reichen die eigenen Fähigkeiten noch aus, um auf dem Arbeitsmarkt mitzuhalten? Wohnungen werden knapper, in der Pflege will kaum noch jemand arbeiten, die Kinder werden in viel zu großen Klassen unterrichtet, wenn der Unterricht denn überhaupt stattfindet, für die Kleinsten findet man in den Großstädten keinen Kitaplatz mehr. Brücken und Straßen zerfallen, das Schwimmbad muss zu machen und die Postfiliale ebenso. Wer will da nicht die Welt anhalten und schreien “ich komme nicht mehr mit!”?! Parteien, wie die AfD versprechen genau das. Und Desinformationen verschiedenster Akteure lassen einen wissen, dass das alles nicht so gekommen wäre, wenn “die Ausländer” nicht herkommen würden und “die da oben” uns “vernichten” oder “austauschen” wollen würden.
Gegen Desinformation hilft vor allem eins: die effektive Bearbeitung politischer Probleme
Eigentlich dürfte all das, was ich beschrieben habe, nicht neu sein. Es dürfte auch nicht überraschen, dass all diese Probleme sind, die politisch bearbeitet und gelöst werden müssen. Ich möchte mit diesen Ausführungen allerdings nochmal unterstreichen, wie wichtig die politische Bearbeitung der angerissenen gesellschaftlichen Probleme ist. Gegen Desinformationen und die AfD werden wir nicht mit Faktenchecks ankommen. Nicht alleinig mit Bildung und auch nicht den großen Erfolg mit einer stärkeren Verantwortung von Social-Media-Plattformen erzielen. Das soll keineswegs die Bedeutung dieser drei Maßnahmen und anderer herunterspielen. Ich bin aber der Überzeugung, dass wenn die Auslöser der drei beschriebenen Gefühle, keine Lösung finden, werden Maßnahmen, die auf die Ratio setzen, allein wenig Erfolg haben.
Einige der beschriebenen Probleme, werden wir nicht für alle zufriedenstellend lösen können: Die Gleichberechtigung sollten wir unter keinen Umständen wieder zurückdrehen, nur weil sich einige dadurch gekränkt fühlen. Auch Maßnahmen gegen den Klimawandel sollten nicht reduziert werden, weil Menschen Angst vor der Transformation und Verlust haben. Doch gerade hier wäre es hingegen wichtig, Erzählungen und glaubwürdige Maßnahmen zu ergreifen, die die Gefühle von Verlustangst und Kontrollverlust abschwächen. Was bedeutet, dass die soziale Frage bei der Energiewende etc. von entscheidender Bedeutung ist. Denn es ist nun mal nicht zu verleugnen, dass die Transformation zu einer klimaneutralen Gesellschaft für einige mit Kosten verbunden ist, die sie nicht stemmen können.
Abschließend möchte ich daher nochmal darauf verweisen, wie wichtig eine transformierte und digitale Verwaltung auch für all das ist. Denn mehr und schnellerer Wohnungsbau, bessere Schulen, die Sanierung von Brücken, die Bearbeitung von beantragten Sozialleistungen, die Auszahlung des Klimageldes, mehr Fachkräfteeinwanderung für Personal u.a. in der Pflege – hierfür ist eine leistungsfähige Verwaltung zwingend notwendig. Mit den jetzigen Prozessen und dem schrumpfenden Personalkörper durch Pensionierung um ein Fünftel bis 2030 können wir die Probleme in den diversen Politikfeldern nicht ordentlich bearbeiten, geschweige denn Lösungen umsetzen.
Bis zu den Wahlen werden wir das nicht umsetzen können. Aber ich würde mir wünschen, dass wir nach (mindestens) zehn Jahren aufhören, das Problem “Desinformation” und auch den Rechtsruck zu bewundern und endlich in ein effektives und nachhaltiges Handeln kommen. Denn die Herausforderungen werden weder kleiner noch weniger.
Auf LinkedIn könnt Ihr gerne wieder mit diskutieren.
Daß Menschen, Tatsachen, die ihnen wohl bekannt sind, nicht zur Kenntnis nehmen, wenn sie ihrem Vorteil oder Gefallen widersprechen, ist ein so allgemeines Phänomen, daß man wohl auf den Gedanken kommen kann, daß es vielleicht im Wesen der menschlichen Angelegenheiten, der politischen, wie der vorpolitischen, liegt, mit der Wahrheit auf Kriegsfuß zu stehen.
Hannah Arendt, Wahrheit und Politik
Bücher, die meine Gedanken dazu geprägt haben:
Gekränkte Freiheit – Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger
Triggerpunkte – Steffen Mau
Das Unbehagen in der Demokratie – Michael J. Sandel
Wie Demokratien sterben – Steven Levitsky und Daniel Ziblatt
Alternative Fakten – Nils Kumkar
Verbot und Verzicht – Philipp Lepenies
Zukunft – Florence Gaub