Adé digitale Verwaltung? Gedanken zum TikTok-Ban und KI aus dem Golf
Die digitale Verwaltung stockt und bei Probleme mit Social-Media-Plattformen reden wir auf beiden Seiten des Atlantiks seit Jahren über die gleichen Probleme ohne voran zu kommen.
In den vergangenen zwei Wochen war ich auf zwei Konferenzen zur digitalen Verwaltung: dem Digitalen Staat in Berlin und dem IT-Fachkongress des IT-Planungsrats in Düsseldorf. Richtige Euphorie wollte da nicht aufkommen. Sehr viele sagten, dass man einfach über ein und dasselbe seit Jahzehnten(!) diskutiert. Und dann noch die Ernüchterung im Bundesrat am Freitag. Noch ernüchternder ist da eigentlich nur, dass das Thema weiterhin niemanden so richtig interessiert. Im ersten Text habe ich aufgeschrieben, was mich daran so richtig wurmt.
Imerrhin wird es wieder heller – der Frühling kommt! Wir haben die dunkle Jahreszeit überstanden, da kann es ja eigentlich nur besser werden, oder? Die deutsche Fußballnationalmannschaft der Männer spielt im farbenfrohen Pink die Europameisterschaft und Deutschland schimpft über den DFB, weil die künftig nicht mehr mit Adidas, sondern mit Nike als Ausrüster zusammenarbeiten werden. Parteiübergreifend wurde das scharf kritisierend. Ein bisschen mehr Standortpatriotismus, bitte! Dabei sollte das eigentlich ein Zeichen sein: Deutsche Traditionsunternehmen bekommen es einfach nicht mehr hin, moderne Angebote abzuliefern. Denn neben dem finanziell besseren Angebot von Nike lieferte es auch Visionen für die Zukunft. Wo bleiben unsere?
Stattdessen Innovations- und Transformationsresignation wohin man blickt. Amy Webb bringt es in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt: “Aber ich sehe das nicht in der deutschen Unternehmenskultur in der Breite. Stattdessen könnte ich Ihnen eine lange Liste mit Namen von Männern sagen, die einfach nichts ändern wollen. Wir hatten gerade erst ein Meeting mit einem von denen, und er hat die ganze Zeit nur gesagt, dass man das alles nicht brauche, und 100 000 Gründe aufgezählt, warum man nichts anders machen kann als jetzt.“"
Also, es kann nicht nur besser werden, es muss. Sonst helfen auch Wachstumschancenpakete – das hat es wenigstens durch den Bundesrat geschafft – nicht viel.
Ann Cathrin 🪱
Eine digitale Verwaltung? Scheinbar nicht so wichtig
Na, auch immer gedacht, dass das mit der Verwaltungsdigitalisierung bei allen politischen Akteuren das absolute Prioritätenthema ist? Falsch gedacht! Nachdem die Ampel-Regierung die Verabschiedung des OZG 2.0, also dem Onlinezugangsänderungsgesetz, bereits im Bundestag zustimmte und feierlich verkündete, dass die Verwaltung nun bald wirklich und echt digital werde und wir viel weniger in Ämtern anstehen müssen, dank des Gesetzes (und dabei völlig außer Acht gelassen wird, dass daran die Verabschiedung dieses Gesetzes im Bund auch nicht wirklich was dran ändern kann), gab es nun im Bundesrat, durch den das Gesetz eben auch noch musste, den großen Klatscher. Ablehnung. Nicht mal für den Vermittlungsausschuss gab es eine Mehrheit. Angerufen kann der wohl dennoch noch vom Bund. Eine Diskussion gab es auch nicht; eine Rede wurde zu Protokoll gegeben.
Also, Moment, ist die Verwaltungsdigitalisierung doch keine Priorität? Irgendwie nicht. Was mich dabei gerade wirklich verzweifeln lässt, ist Folgendes:
Ich habe nicht das Gefühl, dass alle Beteiligten wirklich das gemeinsame Ziel, eine modernde, leistungsfähige Verwaltung zu haben, im Blick haben. Vielmehr scheint es zu häufig ums Kleinklein und Befindlichkeiten zu gehen.
Gesamtpolitisch wurde hier die Bedeutung scheinbar weiterhin nicht begriffen. Es wirkt wie ein Nischenthema, diese Verwaltungsdigitalisierung. Dabei bauen auf ihr zahlreiche politische Vorhaben auf. Schnellere Energiewende und den Bau von Windkraftanlagen? Eine digitale, schlanke Verwaltung ist notwendig. Leistungen, wie die Kindergrundsicherung schnell und effizient an die Familien bringen? Eine digitale, schlanke Verwaltung ist notwendig. Unternehmen von Bürokratieaufwand und -kosten entlasten? Eine digitale, schlanke Verwaltung ist notwendig. Fachkräfte sollen schnell einwandern können und nicht vorm Ausländeramt campieren müssen? Eine digitale, schlanke Verwaltung ist notwendig. Und so könnte es immer weiter gehen.
Bis 2030 gehen über eine Million Menschen aus der öffentlichen Hand in den Ruhestand. Schon jetzt können zahlreiche Stellen nicht besetzt werden. Die Menschen, die in den Ruhestand gehen, nehmen eine Unmenge an Wissen und Erfahrung mit, die nicht gesichert wird. Personal geht jetzt schon auf dem Zahnfleisch – der Krankenstand ist nicht gerade gering. Die Doppelbelastung von den eigentlichen Aufgaben und der nochmal drauf gesetzten Notwendigkeit zu transformieren, trägt einiges dazu bei.
Ministerin Nancy Faser äußert sich zu diesem Thema leider so gut wie gar nicht, scheint daher auch nicht ihr Gewicht als Bundesministerin in die Waagschale zu werfen. In der Bundespolitik wird rauf und runter gesagt, dass wir Unternehmen und Bürger:innen entlasten müssten, dass wir unbedingt Once-Only bräuchten und manch einer schmeißt noch immer das Wort “App” in den Raum. Statt immer wieder zu betonen, wie viel besser es in Dänemark, Estland, Österreich oder selbst der Ukraine läuft, sollten hierzulande alle mal alles dafür tun, dass die Verwaltungsdigitalisierung hier gelingt. Denn von dem politischen Einsatz dafür sind wir noch weit entfernt.
Und ich betone nochmal mein Credo: Wir machen das nicht aus Spaß an der Freud. Eine transformierte und damit leistungsfähige Verwaltung ist notwendig für unsere Demokratie und den Glauben an eben dieses politisches System. Ich weise nochmal auf meinen zweiten Bulletpoint hin.
TikTok Ban? Ein paar Gedanken
In den USA soll TikTok an ein US-amerikanisches Unternehmen verkauft werden müssen oder verboten werden. Im Zuge des Wahlkampfs entdecken auf beiden Seiten des Atlantiks wieder alle das Potential von Social Media bei der Verbreitung von Desinformation. Hier ein paar Gedanken von mir dazu:
TikTok scheint symbolisch für die Überforderung der Politiker:innen bei den neusten Social Media bzw. Technik-Trends zu stehen. Sie haben selber Kinder, sehen, wie diese in den Bann der App gezogen werden und als Lösung kommt (mal wieder) nur: Verbot. Also, müssten wir nicht langsam (it’s 2024!) an Prinzipien ran?
Gerade in den USA wird argumentiert, die App ziehe zu viele Daten der Nutzer:innen ab. Aber was tun andere Apps, insbesondere Social Media Plattformen (eine Erinnerung an meine letzte Ausgabe). Ist es jetzt besser, dass diese ihre Nutzer:innen ausspionieren? Da hilft es auch nicht viel, dass Biden nun verbieten will, dass diese Datenbroker ihre Daten ins Ausland verkaufen. Für dieses Problem wäre daher eher ein umfassendes Datenschutzgesetz in den USA notwendig.
Ein weiterer Vorwurf ist, dass TikTok von der chinesischen Regierung als Tool zur Manipulation eingesetzt werden kann. Das ist ein Punkt, den man nicht unterschätzen sollte – chinesische Unternehmen sind nicht unabhängig von der Kommunistischen Partei, das haben wir bei vielen anderen Tech-Unternehmen gesehen. Man schaue nur auf Alibaba und Tencent. Dass TikTok Pushmitteilungen an seine Nutzer:innen sendete, in denen sie sie aufforderten, sich bei ihren Abgeordneten gegen ein TikTok-Verbot auszusprechen, unterstreicht die Befürchtung, dass das Unternehmen die App für politische Zwecke einsetzen wird.
Desinformationen verbreiten sich auf TikTok. Oh ja! Und auch auf Telegram – das war im letzten Wahlkampf der Renner. Passiert ist aber auch hier nichts. Sie verbreiten sich auf Instagram, Twitter, Facebook, WhatsApp, in Foren, ja sogar gedruckt auf Flyern. Das generelle Problem der Verbreitung von Desinformation wird seit Jahren nicht angegangen. Ich kann da nur unterstreichen, was Paul Strobel auf LinkedIn schrieb. Auch das gilt für beide Seiten des Atlantiks gleichermaßen.
Das diskutierte Gesetz in den USA sagt, TikTok hätte Sicherheitsrisiken – sagt aber nicht welche und wo genau diese liegen. Da fragt man sich unweigerlich, was mit Temu und Shein ist. Zwei gigantisch schnell beliebt gewordene chinesische Shoppingapps. Wenn es also Sicherheitsrisiken gibt (und ich bin eher auf der Seite derer, die sagen, dass es welche gibt), muss man auch hier genereller vorgehen und nicht einseitig auf TikTok abzielen.
So ist das nämlich auch nicht nachhaltig. Was ist mit allen neuaufkommenden Apps? Wir sehen ja mittlerweile, wie schnell das geht. Finden wir nicht grundsätzliche und damit nachhaltige Lösungen für Probleme wie Datenmissbrauch, Desinformation, Spionage usw., werden wir uns immer wieder neu damit herumschlagen müssen.
KI aus den Golfmonarchien
In der letzten Ausgabe hatte ich Euch das Buch “Die neuen Herrscher am Golf und ihr Streben nach globalem Einfluss” empfohlen. Nun etwas detaillierter zu den Bestrebungen der Golfmonarchien um internationalen Einfluss. Für KI braucht man vor allem: Geld, Strom, Platz. All das haben die Golfstaaten. Die Vereinigten Arabischen Emirate wollen eine KI-Macht werden, haben 2017 sogar den weltweit ersten Minister für KI berufen. Saudi Arabien will 40 Mrd. US-Dollar in KI investieren. “Falcon”, das in den VAE entwickelte LLM läuft etwas unter dem Radar, scheint aber recht erfolgreich zu sein. Es ist open source und kommt auch in Staaten des Globalen Südens gut an, die (noch) keine eigenen Kapazitäten für eigene Modelle haben.
Doch die Golfstaaten geraten auch in die Gemengelage zwischen den USA und China. Die USA haben bekanntlich ein Embargo für die neusten Chips gegenüber China ausgerufen. Die Golfmonarchien haben traditionell eine enge Sicherheitspartnerschaft mit den USA, nutzen aber auch gerne und viel chinesische Hardware – und China wird ein immer wichtigerer Player in der Region. Man denke nur an die diplomatischen Vermittlungen zwischen Iran und Saudi-Arabien. Die VAE wollen künftig auch eigene Chips herstellen.
Eigentlich könnten die VAE ein attraktiver und anziehender Ort für KI-Wissenschaftler:innen sein: Sonne, keine Einkommenssteuer und Glanz und Glamour. Wären da nicht Dinge wie Bürgerrechte. Mit fehlenden Dingen wie Rechte für LGBTQI, Meinungsfreiheit und Internetfreiheit mag man vielleicht Influencer:innen anlocken, aber nicht unbedingt KI-Expert:innen. Womöglich mag es auch nicht jedem gefallen, dass die KI-Modelle der dortigen Unternehmen mit den (Medizin-)Daten der Bürger:innen trainiert werden dürfen.
Wertegeleitete Außenpolitik auch im Digitalen! Nicht nur wegen Iran
Bleiben wir noch kurz in der Region und schauen nach Iran. Bekanntlich hat es das Regime auch nicht so mit Bürgerrechten – weder offline noch online. Online ist aber weiterhin ein viel zu wenig beleuchteter Bereich. Kollegen vom CMEG haben für das Global Policy Journal Policy Recommendations für den Umgang des Westens mit Irans digitaler Überwachung aufgeschrieben.
Da wir in Deutschland so gerne von wertegeleiteter Außenpolitik sprechen, sollten wir die Werte im Cyberraum nicht außer Acht lassen. So sollte die EU beispielsweise die Bereitstellung von sicheren VPNs unterstützen, damit Aktivist:innen in Iran einen sicheren Zugang zu Kommunikation und Information haben (das gilt natürlich für Aktivist:innen in diversen autoritären Regimen). An die USA und an Kanada richtet sich zudem die Forderung, Maßnahmen wie Sanktionen gegen diejenigen Unternehmen zu erlassen, die VPNs anbieten, die eben keine sichere Verbindung ermöglichen, sondern das Regime unterstützen.
Amy Webb hat auf der SXSW ihren jährlichen Trendreport vorgestellt. Künstliche Intelligenz ist natürlich dabei, aber auch Large Action Modelle.
Buchtipp
Abermals kein Tech-Buch, aber abermals eine große Leseempfehlung: Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson von Daniel Marwecki. Wenn die Deutschen über Israel reden, reden sie eigentlich über sich selber. Damit hat Marwecki einen treffenden Punkt. Über die Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen wissen wir nur sehr wenig. Haben aber – so meine These – das Gefühl, dass es uns bei der Wiederaufnahme der Beziehungen nach dem Holocaust um Sühne und Vergebung ging. Das Buch zeigt anhand von diversen, bis 1997 geheimen Akten des Auswärtigen Amtes, dass es in Deutschen nur um eines ging: sich selbst. Und das zieht sich durch die Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen über die Jahre hindurch. Israel nahm Anfang der 1950er nur Geld und vor allem Industriegüter nur an, weil es nicht anders konnte. Das junge Land, umgeben von Feinden, musste sehr schnell stabil werden und eine eigene Wirtschaft aufbauen. Die Amerikaner kamen erst Ende der 1960 auf die Bühne, vorher waren die Golfstaaten die wichtigeren Partner. Was Deutschland “Wiedergutmachung” nannte, wurde in Israel “Strafzahlung” genannt. Deutschland schaffte es in der Nachkriegszeit erfolgreich, “die Nazis” als etwas anderes zu konstruieren, als “die Deutschen”. Weil beides nichts miteinander zu tun hat(te), war es für die westdeutsche Bundesregierung auch kein Problem, einen ehemaligen Wehrmachtssoldaten als ersten Botschafter nach Israel zu entsenden. Das Buch ist vor allem ein Lehrstück über unsere eigene Geschichte und die Illusion der vorbildlichen Aufarbeitung unserer Geschichte.
Und sonst noch…?
Mitbekommen, dass das Amt des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit noch immer nicht neu besetzt ist und Ulrich Kelber ganz schön in der Luft hängt? Ein Unding haben meine Kolleginnen bei LOAD gesagt und einen offenen Brief verfasst, der von zahlreichen namhaften Organisationen mitgetragen wird.
Elon Musks Gehabe jeglicher Art scheint für zu viele weiterhin kein richtig ernstzunehmendes Problem zu sein. Stattdessen darf sein Unternehmen SpaceX jetzt auch noch ein Satelliten-Netzwerk für den US-Geheimdienst aufbauen.
Pressebriefing jetzt auch für Influencer: Gar keine so dumme Idee, dass das Weiße Haus auch extra Informationsveranstaltungen für Influencer macht.
ByteDance, Flo, Shein – ein paar nicht-amerikanische Unternehmen kennt man. Aber es gibt noch jede Menge mehr, die westlichen Tech-Unternehmen ernsthafte Konkurrenz machen.
Von Konkurrenz zu Partnern: Welche Partner kommen eigentlich für die EU in verschiedensten Themenfeldern infrage? Das European Council on Foreign Relations hat dazu eine interaktive Karte erstellt.
Ein Interview mit dem Wupeprtaler Oberbürgermeister Uwe Schneidewind, auf das ich vergangene Woche mehrfach verwiesen habe. Er spricht ganz deutlich über die Probleme im politischen System, die ein Vorankommen nicht möglich machen. Wer “Nein” sagt hat die Macht und wir haben zig Gremien voller Mittelmäßigkeit. Couldn’t aggree more.