Wieder da! Mit Journalismus, Privacy und einem Statusbericht — Issue #34
Falls es jemandem nicht aufgefallen ist: ich hab mal 60 Tage Social-Media-Pause gemacht. Nein, kein richtiger digital Detox — sowas ist auch Quatsch — mein Handy hatte ich trotzdem immer dabei und war flink wie immer beim Beantworten von Nachrichten. Aber: irgendwann merkt man, dass gerade in den letzten 1,5 Jahre wahnsinnig viel passiert ist und man irgendwann mal durchatmen, reflektieren und sich neu orientieren muss. Das ist nun passiert. Außerdem hatte ich eine Menge Sachen, die ich endlich mal erledigen und abhaken musste. Also musste Social Media mal aus, denn ich liebe es — ließ mich aber zu gerne ablenken und mit dem Konzentrieren ging es auch nicht mehr wirklich gut. Also waren radikale Maßnahmen fällig und siehe da, ich hatte einen ganz famosen und produktiven Sommer. Ich war sogar das erste Mal in Berlin an einem See, habe die Staatsbibliothek unsicher gemacht und meine ganze Wohnung ausgemistet. Ich habe eine Hausarbeit geschrieben (der Abschluss rückt in ganz greifbare Nähe), bin rum gereist um auf Hochzeiten von lieben Freunden zu tanzen und habe ganz viel gelesen und geschrieben. Buch-Tipps gibt es ganz unten, geschrieben habe ich zum Beispiel diesen Beitrag für die Friedrich-Naumann-Stiftung über digitale Bildung auch für Erwachsene und eine Bundeszentrale für digitale Bildung. Für die “Politik & Kultur” habe ich über Freiheit und Verantwortung im Internet geschrieben und dass die ganze Ethik-Debatte bei den Uploadfiltern völlig fehlte.
Über alle anderen Neuigkeiten, wohin es nun geht und was noch so geschrieben wurde, informiere ich Euch zu gegebener Zeit.
Ich habe Euch vermisst!
Ann Cathrin
Bloß, damit hier keine Missverständnisse aufkommen: das ist eine Sache, die ich nie müde werde zu predigen. Das Internet, alles Digitale ist real und wer meint, er müsse mit diesem Zeugs aufhören, weil er wieder “echte” Beziehungen pflegen will, der oder die hat das alles nicht verstanden. Ich schwärme nur zu gerne davon, wie ich über das Internet ganz wundervolle Menschen kennengelernt habe und daraus auch ganz analoge Freundschaften entstanden sind. Manche sind immer noch “nur” digital und auch das ist vollkommen in Ordnung.
Über den Umgang mit all den brummenden und piependen Geräten muss der moderne Mensch immer wieder nachdenken: Etwa, indem er entscheidet, an welchen sozialen Medien er wie teilnehmen will oder welchen Benachrichtigungen er erlauben will, ihn abzulenken und in welchen Zeiträumen. Die Handy-Gesellschaft muss Normen und Strategien finden, sich selbst vor Stress und Entgrenzung zu schützen — zum Beispiel, indem der Arbeits-Mail-Server nach Feierabend einfach keine Mails mehr zustellt. Aber Weglaufen, die Zeit zurückspulen, zurück in die Achtzigerjahre, ist keine Lösung.
Ich habe übrigens gemerkt, dass ich Facebook keineswegs vermisse. Twitter dagegen irgendwann sehr und ein bisschen Instagram. Sich nochmal bewusst zu machen, wie irrelevant ganz viele Diskussionen (vor allem in der Sommerpause) sind, wurde mir auch nochmal klar, und dass Zeitung lesen wirklich ganz wunderbar ist. Aber ebenso fehlten die Fundstücke, die man eben nur auf Twitter findet. Kleine, feine Informationen von Expert:innen — es hat halt alles seine Vor- und Nachteile 😉
Digital Detox: Die Naivität der Digital-Asketen — Digital — Süddeutsche.de — www.sueddeutsche.de
Was kommt eigentlich auf den Journalismus zu? Richard Gutjahr hat sich dem in einem schonungslosen Artikel zugewendet und es sieht nach sehr, sehr viel Arbeit für die Branche aus.
Wir müssen der Wahrheit ins Gesicht sehen: Wir Journalisten sind zu Pferdekutschern des Digitalzeitalters geworden und haben es noch nicht einmal gemerkt. Oder einfach nur nicht wahrhaben wollen? In einer Welt, in der die Informations- und Desinformationsmöglichkeiten schier unendlich sind, müssen auch wir uns neu erfinden. Und das nicht nur einmal, etwa durch den Umbau unseres Newsrooms, sondern immer und immer wieder. Das gilt insbesondere für unsere digitalen Angebote.
Ein paar wichtige Punkte aus dem Text: Nicht nur durch 5G wird Video als Format noch wichtiger, als es jetzt schon ist. Nachrichten bleiben wichtig, aber nicht als Text. Journalist:innen müssen mehr Gesicht zeigen, zum Beispiel auf Twitter und er fragt zu recht, wie es um die eigene Digitalkompetenz der Zunft steht. Ist man der historischen Aufgabe überhaupt gewachsen? Eine lesenswerte Bestandsaufnahme!
Game of Phones | journalist — das Medienmagazin — www.journalist-magazin.de
Bleiben wir bei dieser Branche. Das Leistungsschutzrecht in Deutschland wurde — oh Wunder — vom EuGH einkassiert. Auf europäischer Ebene ist es nun in Artikel 15 (vormals 11) in der EU-Urheberrechtsrichtlinie verankert. Doch die Verlage und ihre Lobbyorganisationen, sowie die GEMA und andere Organisationen (von der einige wieder von der Kampagne abgesprungen sind) fahren zum nächsten Schlag gegen Facebook und Google. Netzpolitik.org hat eine Kampagne geleakt, bei der diese Folgendes planen:
Ziel: Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung zum Umgang mit Digitalmonopolisten und sich daraus ergebende mittelbare Ertüchtigung von Beamten, Politikern, Richtern und Entscheidungsträgermn, solche Urteile und Entscheidungen zu treffen, die dafür sorgen, dass die Digitalmonopolisten sich wieder an geltendes Recht halten, das heißt Kartellrecht, Datenschutz, Schutz der Kinder und Jugendlichen, Steuerrecht, Gleichbehandlung und den Schutz des Geistigen Eigentums.
Man moniert zudem, dass diese Digitalkonzerne weit mehr über einen wissen als man selber über sie. Markus Beckedahl weist in diesem Interview zu recht daraufhin, dass “… es halt heutzutage so [ist], dass ich als Zuhörer, als Zuschauer, als Leser auf so gut wie jeder Verlagsseite oder Medienwebseite in Deutschland von einer Vielzahl von Drittunternehmen getrackt werde, wo die Verleger selbst schon längst die Kontrolle darüber verloren haben, wer da wie wen trackt und wo diese Daten hingehen.” Ganz zu schweigen davon, dass diese Medienhäuser selber die Tracking-Pixel von z.B. Facebook einsetzen und damit die Datensammelei dieser Konzerne unterstützen.
“Doppelmoral”: Markus Beckedahl über Lobbykampagne von Verlagen & Co. — Daniel Bouhs — daniel-bouhs.de
Ich glaube, ich habe schon mehrfach daraufhin gewiesen: Zyklus-Daten sind Gesundheitsdaten und sollten mit eben solcher Vorsicht behandelt werden. Mehrere Apps zur Zyklus-Erfassung senden Daten nicht nur an Facebook, sondern auch an andere Daten-Broker, die diese nutzen, um Frauen gezielt Werbung zu verkaufen. Wie das anhand von Menstruationsdaten gehen soll? Nun ja, seid ihr schwanger, sind Eure Daten so richtig lukrativ: “The data of pregnant women is particularly valuable to advertisers: expecting parents are consumers who are likely to change to their purchasing habits. In the US for instance, an average person’s data is worth $0.10, while a pregnant woman’s will be $1.50.” Aber auch ohne schwanger zu sein gibt es Phasen im Zyklus, in denen man für Konsum empfänglicher ist als zu anderen Zeitpunkten. Privacy International hat sich mehrere Anbieter angesehen und ich bin froh hier zu sehen, dass die App Clue, die ich nutze um empfehle, hier vorbildlich auf eine Beschwerde reagiert hat.
No Body’s Business But Mine: How Menstruation Apps Are Sharing Your Data | Privacy International — www.privacyinternational.org
“In addition to understanding the differing concerns of economically marginalized groups, it’s critical to understand how different racial and ethnic groups experience privacy.” Wie sehr wir durch staatliche Akteure überwacht werden (könnten), hängt auch sehr von unserem sozio-ökonomischen Status ab. Ärmere Menschen haben häufiger Kontakt mit dem Staat und generieren z.B. durch Sozialhilfe Daten bei ihm. Wenn in Gegenden mit einem höherem Anteil — wie im Beispiel dieses Artikels — Hispanics und Afroamerikanern auch höhere Kriminalität herrscht und dort Maßnahmen wie “Predictive Policing” und Überwachungskameras mit Gesichtserkennung eingesetzt werden, dann gibt es auch hier deutlich mehr Datensätze und Eingriffe in die Privatsphäre von marginalisierten Gruppen, als in die von reichen, vornehmlich Weißen Menschen. Ärmere Menschen haben häufig nur ihr Smartphone als Internetzugang. Ist das von Schadsoftware betroffen, ist eine Alternative meist nicht vorhanden und ein Ersatz schwer finanzierbar. Jobs (man denke z.B. an Uber-Fahrer oder Deliveroo und Co Fahrerinnen) können dann ggf. nicht mehr ausgeübt werden und die Abwärtsspirale dreht sich. Privacy und IT-Sicherheit sollten dringend auch aus dieser Perspektive beleuchtet werden.
Opinion | The Devastating Consequences of Being Poor in the Digital Age — The New York Times — www.nytimes.com
“People don’t trust us, even though we’re in the trust business.”
“Nowadays we are all scared; everywhere you look there are headlines about war, economic crisis, murderer etc. We live in a world, where politicians and journalists follow media criteria to become popular and this is how we build populists, but not leaders. Look at the Pulitzer Price or the World Press Photo all winner stories are about drama, war and other bad things that happen around the world. Are there no positive ones to tell? Journalism should be an inspiration to solve problems and to see the world with both eyes.
Ulrik Haagerup is the Executive Director of News at the Danish Broadcasting Corporation and established there the “constructive journalism”.”
BOTTOM OF THE LETTER
Hackback befürworten ist unsexy. Warum das auf ganz vielen Ebenen auch Schwachsinn ist, hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags nun in einem Gutachten aufgeschrieben, das Netzpolitik.org veröffentlicht hat.
Centering Civil Rights in the Privacy Debate — ein umfangreicher Report von New America.
Thomas Sattelberger und Dieter Janecek haben im Handelsblatt zusammen aufgeschrieben, warum Social Entrepreneurship so wichtig ist und wie ihn die Politik fördern sollte 💛💚
GAFA werden vom Gesetzgeber scharf beäugt. Warum sie jeweils reguliert werden könnten, hat die New York Times zusammengefasst.
“‘Viele Menschen verstehen doch gar nicht, was Journalist*innen eigentlich so machen. Und das ist auch der Grund für ihr Misstrauen.’ Deshalb brauche es vor allem mehr Transparenz und eine offene Fehlerkultur.” — über die „Cheerleaderin der Medienwelt”: Samira El Ouassil
“However, for a woman who wants to find a partner to have children with and to share in all that goes into raising them, a more important question may actually be, ‘are you willing to fold your half of the laundry even if we both work?’”
The Misogyny of Climate Deniers: “for climate skeptics … it was not the environment that was threatened, it was a certain kind of modern industrial society built and dominated by their form of masculinity.”
Be like Water! Wie sich die Demonstrant:innen in Hongkong organisieren.
Edward Snowden veröffentlich seine Memoiren — an meinem Geburtstag, welch Zufall!