Ungewohnte Zufriedenheit — Issue #90
Hello again! Grüße aus Berlin, die Stadt in der die Corona-Zahlen einfach nur noch explodieren. In Mitte sind wir kurz vor der 3.000er Inzidenz. Wer hätte das jemals geahnt. Nun ja. Zwar bin ich komplett durchgeimpft, aber ich will diese Krankheit wirklich nicht bekommen. Und nicht zehn Tage von Lieferdiensten und Freund:innen abhängig sein, die mir Einkäufe vor die Tür stellen. Dass man sich wenigstens zum Spaziergang treffen kann, ist mein einziger Lichtblick gerade. Ich hoffe, Euch geht es gut und Euch hat es noch nicht erwischt. Oder Ihr habt Covid einigermaßen gut überstanden. Wenigstens werden die Tage wieder heller und das heißt, der Frühling kommt und dann wirds hoffentlich abermals wieder alles besser.
Aber es gibt auch freudige Nachrichten. Digitalpolitik wird in Deutschland und in Europa besser! Man muss sich gar nicht mehr aufregen (fingers crossed, dass das so bleibt). Für mich ein völlig ungewohnter Umstand. Worum es geht, könnt Ihr direkt im ersten Text lesen. Aber es bleibt noch genügend zu tun und immer neue Herausforderungen kommen auf uns zu. Würde ja sonst auch langweilig werden, oder? 🤪
Ich wünsche Euch einen schönen Sonntag. Bleibt gesund
Ann Cathrin 🍝
WHAT TO KNOW
Der Digital Services Act, der neue Goldstandard für die Plattformregulierung ist durchs Europäische Parlament und geht nun in den Trilog. Ich schrieb schon auf Twitter, dass es ein ganz komisches Gefühl ist, dass man wirklich zufrieden sein kann mit dem bisherigen Ergebnis — ganz ungewohnt für die Digitalpolitik. Der EU-Kommissar Thierry Breton hat gleich eine ganze Spotify-Playlist zum DSA erstellt (man muss die Liedtexte nacheinander lesen) und alle sind voller Freude, bei dem Gesetzespaket, das wohl auch außerhalb der EU wirken wird. Außer die Industrie. Die findet gerade die deutlichen Einschränkungen bei der Verwendung von sensiblen Daten oder den Daten von Minderjährigen nicht so gut. Aber das Ergebnis ist eben noch nicht final — wir werden sehen, was am Ende dabei rauskommt und wie effektiv der DSA gegen illegale Inhalte jeglicher Art vorgehen wird und Bürgerrechte schützt.
Zwei Highlights des bisherigen Verhandlungsstands:
Porno-Plattformen werden explizit berücksichtigt. Das ist ganz wichtig für Opfer von Revenge Porn und unrechtmäßig verwendeten Nachtbilder (siehe unten).
Die sog. “Media exemption” wurde abgelehnt. Laut einem Vorschlag aus dem JURI Ausschuss hätten Medien (die sehr breit definiert werden) nicht als Desinformation markiert werden dürfen oder die Reichweite von als Desinformation identifizierten Inhalten eingeschränkt werden. Das ist gut, denn bei dieser sehr breiten Definition fällt ziemlich viel an “Medien” darunter und es sind auch häufig “Medien”, die Desinformation verbreiten. Mehr dazu in diesem offenen Brief, den auch ich im Vorfeld mitgezeichnet habe.
Zum DSA und was er gegen Desinformation tun kann, habe ich mit Claire Pershan von EU vs. Disinfo für die Friedrich-Naumann-Stiftung gesprochen. Das Interview kann man hier lesen. Und weil immer noch und immer wieder Telegram Thema ist, dass auch hier als “ultima ratio” abgeschaltet werden soll (damit würde sich Deutschland in die Liste dieser Länder einreihen), habe ich mit ZAPP vom NDR darüber gesprochen, warum Abschalten keine Lösung ist und wir uns auf den DSA als Regulierungsinstrument fokussieren sollten. Im Text und Video mit vielen weiteren schlauen Stimmen.
Digital Services Act: Goldstandard oder massiver Schaden für die Wirtschaft? | heise online — www.heise.de
Die Vorratsdatenspeicherung soll endlich verschwinden. Ich könnte glücklicher nicht sein. Ich halte es bekanntlich nicht für gut, wenn der Staat massenweise und auf Vorrat Daten sammelt. Eigentlich braucht er es auch gar nicht. Schließlich haben Tech-Konzerne mehr als genug von uns und wenn der Staat bzw. Ermittlungsbehörden auf diese zugreifen, dann können sie schon sehr, sehr viel über uns erfahren. Und haben ggf. Beweismittel gegen uns in der Hand. Das kann man gut finden — mir zeigt es nur mal wieder, wie massenhaft unbemerkt von uns Daten gesammelt werden und wie gläsern wir damit sind. In den USA hat das FBI nun mehrfach die Daten von einzelnen Verdächtigen des Sturms auf das Kapitol von Tech-Konzernen abgefragt, um zu bestätigen, dass die Selfies die diese Kriminellen ins Netz von dem Sturm gestellt haben, auch wirklich dort und von ihnen erstellt wurden. Also nochmal eine Untermalung von den Tatsachen, die man eh schon auf dem Bild sieht. Irre, dass diese Menschen überhaupt Selfies von sich ins Netz stellten. Die dachten eben wirklich, sie machen nichts rechtswidriges.
Auch interessant, wenn auch wenig in diesem Artikel ist der Hinweis darauf, dass vor allem Linke Aktivist:innen und Demonstrant:innen schon regelmäßig und intensiv digital überwacht werden. Bei der Überwachung von Rechtsextremisten ist bislang wenig passiert.
To catch an insurrectionist: Facebook and Google are helping the FBI find January 6 rioters — Vox — www.vox.com
Habt Ihr schon Ahnung vom Metaverse? Interessiert Ihr Euch dafür? Wart Ihr gar schon drinnen? Für mich ist das ja eine Sache wie Tik Tok: Ich habe nicht wirklich Lust mich damit zu beschäftigen. Zu fancy, zu neu und anders und überhaupt. Wozu brauche ich das? Dann erwische ich mich bei dem Gedanken, dass das ziemlich fatal ist so zu denken. Und dass diese Denke auch mit ein Problem dafür ist, dass wir meist so schlechte Digitalregulierung haben. Die auch noch zu spät kommt und viele Dinge regelmäßig außer Acht lässt. Pornowebseiten zum Beispiel oder die ganze Gaming-Welt. Also sollte man sich wohl besser damit beschäftigen (aber ich werde mir keine VR-Brille zulegen!). Auch, um ein bisschen beurteilen zu können, ob das Ganze ein Hype ist oder nicht. Ich weiß es noch nicht, aber kann mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, warum man in einer digitalen Welt rumgeistern möchte.
In einer virtuellen Welt zahlt man natürlich auch nur mit virtuellem Geld. Also Kryptogeld. Man kauft virtuelle Dinge. NFT oder anderes Zeug. Wie das heute schon in Spielen passiert. Ein waaaahnsinns(!) Business. Was in der Gaming-Industrie an Umsätzen gemacht wird, ist irre. Gerade auch bei In-Games-Käufen. Also gerade den erstmal kostenlosen Mobil-Spielen. Ich bin Ende letzten Jahres da selber mal eingetaucht. Auf der Suche nach einem Hobby habe ich gedacht: Spiel doch mal wieder Computer. So wie früher. Nur: Für OS gibt es all meine geliebten Spiele nicht. Also wurde es The Sims Mobile. Und es hat mich krass geschockt, wie sehr, häufig und penetrant mich das Spiel dazu animieren will, echtes Geld auszugeben. Da wird man schnell weitaus mehr Geld los, als man für ein Spiel sonst jemals ausgeben würde. Natürlich geht es auch ohne — aber es ist echt müßig. Und bei diesem Spiel kann man digital erworbene Gegenstände nicht mal verkaufen. Bei einigen anderen geht das wohl (ich bin echt nicht drinnen in der Szene). Und laut dem Artikel unten, ist es gerade im Globalen Süden (und sogar in chinesischen Gefängnissen!) ein lukrativer Job in Spielen Dinge zu erspielen und diese dann zu verkaufen.
Ich kann mir diese digitale Welt mit digitalen Besitzgütern echt nicht vorstellen. Und sehe bisher auch kaum einen Mehrwert. Aber dennoch: Da ist ein riesiger Markt und vor allem ein vollkommen unregulierter. EU Kommissarin Vestager hat das schon auf dem Schirm und ich denke, wir sollten uns das auch ein bisschen mehr angucken.
Money in the Metaverse | The New Yorker — www.newyorker.com
In a virtual world full of virtual goods, finance could get weird.
Vor allem sollten wir das Metaverse wegen all der (potenzierten?) Probleme auf dem Schirm haben, die die digitale Welt eh schon mit sich bringt. Hass geht deutlich schneller über die Tastatur denn über die Lippen. Auch, weil man den Menschen nicht “in echt” vor sich sitzen hat. Alles ist real, aber es wirklich real. Die Virtuelle Welt hat jetzt schon ein enormes Problem mit sexuellen Übergriffen. Die, die mit VR-Brille und Sensorik-Westen spielen, um völlig in der virtuellen Welt zu sein, berichten schon (natürlich Frauen) von übergriffigen Berührungen und Masturbation in ihrer Gegenwart. Es ist alles etwas, das ich mir gar nicht vorstellen kann und mag. Aber ich glaube, mit diesem nächsten Level an Digitalität kommt ganz schön was auf uns zu. Dabei haben wir noch nicht mal annähernd adäquat gelernt mit dem jetzigen umzugehen.
The Metaverse’s Dark Side: Here Come Harassment and Assaults — The New York Times — www.nytimes.com
Wie oben bereits erwähnt, wird der DSA nach aktuellem Stand auch das Problem von Revenge Porn und unerlaubt verbreiteten Nacktfotos tun. Dieser Text hat mich wirklich entsetzt. Es ist mir unbegreiflich, wie Männer die Fotos von ihrer Ex-Partnerinnen ins Netz stellen können und mit ihnen umgehen, als wären es Pokemon-Sammelkarten. Es gibt Tauschbörsen, es gibt Plattformen, bei denen man danach gucken kann, von welcher Frau aus der Nachbarschaft Nacktfotos verfügbar sind. Die Frauen, die erfahren, dass ihre Bilder (die sie häufig freiwillig gesendet haben in dem Glauben, dass sie bei den Empfängern mit Respekt behandelt werden) auf solchen Plattformen landen, haben meist keine Handhabe. Ihr Problem wird häufig nicht mal von der Polizei ernst genommen; die Plattformen löschen die Bilder natürlich nicht. Was das für sie psychisch bedeutet, kann man nur erahnen. Ein ziemlich erschütternder Bericht, der einen auch wieder mit völligem Unverständnis über die Niedertracht einiger Männer und die tief sitzende Misogynie zurücklässt.
‘I have moments of shame I can’t control’: the lives ruined by explicit ‘collector culture’ | Sexual harassment | The Guardian — www.theguardian.com
WHAT TO HEAR
ID und Wallets — eGovernment Podcast (mp3) | Podcast on Spotify — open.spotify.com
Listen to this episode from eGovernment Podcast (mp3) on Spotify. Es wird heiß im eGovernment Podcast. Es wird sogar von Fackeln und Flammenwerfern gesprochen. Es geht um die Sinnhaftigkeit und die Hintergründe von ID-Wallets bzw. der ID-Wallet, Blockchain, eID und irgendwie allem drumherum. Es gibt wieder viel zu lernen, denn mit Manuel Atug und Christian Kahlo waren zwei ausgesprochene Experten zu Gast im eGovernment Podcast.
WHAT TO WATCH
Ich halte nicht von Triggerwarnungen. Meiner Meinung nach triggern sie erst recht. Nur bei dieser Doku möchte ich nochmal unterstreichen, dass die Warnung am Anfang berechtigt ist. Es ist direkt am Anfang ein weinendes Kleinkind zu hören — das geht einem durchs Mark. Von weiteren Inhalten ganz abgesehen (vorgelesene Chats z.B.). Die ganze Doku ist wirklich sehenswert, die Polizeiarbeit imposant, das Ausmaß nicht in Worte zu fassen. Aber sie ist wirklich heftig und wer bei dem Thema eh regelmäßig wegschalten muss, sollte bitte gar nicht erst klicken.
die story: Polizisten gegen pädophile Täter: Innensicht einer Großermittlung | Video der Sendung vom 12.01.2022 21:15 Uhr (12.1.2022) mit Untertitel — www.ardmediathek.de
Polizisten gegen pädophile Täter: Innensicht einer Großermittlung | Video | 21. Oktober 2019. Ein 42-jähriger Familienvater aus Bergisch Gladbach kehrt aus dem Urlaub zurück. Die Polizei erwartet ihn bereits, nimmt ihm das Handy ab, durchsucht die Wohnung. Was zunächst unspektakulär klingt, ist der Auftakt zu einem der größten Kriminalfälle in der Geschichte der Bundesrepublik, von Ermittlungen in bisher ungekanntem Ausmaß. Es geht um die Vergewaltigung von Kindern und den Austausch entsprechender Bilder und Videos. Die Polizist:innen stoßen im Haus des Familienvaters auf sieben Terabyte Daten mit kinderpornographischen Inhalten. Der Tatverdächtige ist Teil eines internationalen Netzwerks von Pädophilen, das Stück für Stück enttarnt wird.
WHAT TO READ
Wie die EU ihre Macht bei der Standardisierung verteidigen will.
Corona-Kontaktnachverfolgung: Polizei fragt in mehr als 100 Fällen Daten ab.
IT-Kriminalität: Wie sich Kommunen gegen Cyberattacken schützen können.
Achtung, Technologie-Lücke! Europa hinkt den USA technologisch schon seit Jahrzehnten hinterher. Die neue geopolitisch geprägte europäische Technologie-Industriepolitik muss Antworten auf alte Fragen finden.
As Beijing Takes Control, Chinese Tech Companies Lose Jobs and Hope.
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Energiekrisen erzwingen Kryptomining-Verbot im Kosovo und Iran.
EU-Datenschützer: Europol muss Daten Unverdächtiger nach sechs Monaten löschen.
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