The Book Issue
Hier kommen die Highlights meiner drei Wochen Leseurlaub – ausführlich und mit Liebe rezensiert!
Ich war drei Wochen im Urlaub – drei Wochen voller Lesen, Essen, Schwimmen und Schlafen. Und genau so sollte Urlaub sein: ein Reset, ohne To-do-Listen, nur das machen, was einem Freude bereitet. Für mich sind das Sachbücher. Ich habe viel gelesen, und in dieser Newsletter-Ausgabe stelle ich ein paar der Bücher ausführlicher vor. Wer mir auf Social Media folgt, hat es vielleicht schon gesehen: Heute gibt es mehr als nur einen Teaser, sondern längere Reviews.
Aber das Wichtigste zuerst: Es ist völlig okay, im Urlaub nichts zu lesen. Oder etwas völlig anderes zu machen, sei es Radfahren, Zeit mit den Kindern zu verbringen oder wandern. Was zählt, ist, dass es Spaß macht und zur eigenen Erholung beiträgt. Für mich ist es die Freude an Sachbüchern – und wenn jemand von euch daraus Inspiration mitnimmt, umso besser.
Jetzt aber zu den Büchern, die mich in den letzten Wochen begeistert haben.
Ann Cathrin
Buchempfehlungen – oder eben nicht
„Wir sind nicht alle. Der Globale Süden und die Ignoranz des Westens“
von Johannes Plagemann und Henrik Maihack
Länder des Globalen Südens werden für uns als Partner immer wichtiger. Aber sie haben kein Interesse, sich auf eine Seite zu schlagen – weder die des Westens, noch auf die Chinas. Sie haben in den letzten Jahren ein Selbstbewusstsein entwickelt, das sie immer strategischer einsetzen und sie fokussieren sich vor allem auf ihre eigenen Interessen. Politik und Wirtschaft sind für Länder des Globalen Südens zwei verschiedene Sphären, die nicht miteinander vermischt werden sollten – wir, der Westen, tun dies aber gerne. Warum viele Länder China nicht per se als Gefahr sehen, warum man von der westlichen Arroganz häufig genug hat und warum Russland anders gesehen wird als bei uns, zeigen die beiden Autoren eindrücklich und prägnant. Wer globale Herausforderungen bewältigen will, braucht den Globalen Süden. Wer ihn besser verstehen will, sollte dieses Buch lesen. #mustread
„Der Gedanken-Code. Wie künstliche Intelligenz unser Denken entschlüsselt und wir trotzdem die Kontrolle behalten“
von Janosch Delcker
Warum stellt Big-Tech so viele Neurowissenschaftler:innen ein und steckt Unsummen in Grundlagenforschung? Janosch nimmt uns mit auf eine Reise zur Zukunft der KI, die bereits in Gange ist. Unser Denken und unsere Emotionen zu verstehen ist der nächste Schritt in dieser Technologie. Er macht selbst Forscher:innen nervös und gleichzeitig sind die Entwicklungen unfassbar spannend für die Heilung von kranken Menschen – oder die Möglichkeit ihr Leben lebenswerter zu machen. Janosch sorgt dafür, dass wir weder ängstlich noch euphorisch auf die Zukunft blicken, aber uns ein bisschen gerüstet für diese fühlen. #mustread
„Freiheit gehört nicht nur den Reichen. Plädoyer für einen zeitgemäßen Liberalismus“
von Lisa Herzog
Kurz vorm Urlaub noch im Internet von Danyal Bayaz empfohlen worden und daher gleich eingepackt. „Man kann dann auch Rawls im Original lesen“, sagte mir ein Freund, als ich ihm von dem Buch erzählte, aber ich vermute, Lisa Herzog liest sich angenehmer und bringt dadurch, dass sie eben in der Jetzt-Zeit schrieb, auch die notwendige Aktualität mit herein. Sie verhandelt hier ausgiebig, wie Menschen die Grundlagen bekommen, um ein wirklich selbstbestimmtes Leben führen zu können. Dafür untersucht sie Machtstrukturen und beschäftigt sich intensiv mit sozialer Gerechtigkeit. Zu Ende gedacht, kommt sie, wie Judith Shklar, eher bei der Sozialdemokratie heraus, was nicht bedeutet, dass allein das Denken über die Fragen und Antworten, die sie aufwirft, äußerst lohnenswert für Liberale ist. #mustread
„Stürzende Imperien. Rom, Amerika und die Zukunft des Westens“
von Peter Heather und John Rapley
Nicht nur die, die mehrfach am Tag ans Römische Reich denken, werden hier ihre Freude dran haben. Die beiden Autoren stellen dar, dass neuste Forschungen zeigen, dass das Römische Reich nicht aufgrund von zu vielen Einwanderern zusammenbrach – ein Topos, der gerade von Rechten in den USA verwendet wird, um vor Einwanderung zu warnen. Die beiden Autoren arbeiten vielmehr drei verschiedene Faktoren heraus und stellen dar, dass die Hunnen kommen „mussten“, weil die Lebensgrundlagen in der heutigen Ukraine durch eine Dürre zunichte gemacht wurden. Daneben spielte die Peripherie und die Kriege mit den Persern weitere, entscheidende Rollen. Daraus lassen sich neue Erkenntnisse für den Westen ableiten. Mitnehmen muss man aber vor allem: Imperien existieren nicht für immer. #goodread
„Niemals Frieden? Israel am Scheideweg“
von Mosche Zimmermann
Als konstruktiven Pessimismus will Zimmermann seine Gedanken in diesem Buch verstanden wissen und beim Blick auf die jahrzehnte andauernde Situation in Nahost ist das wohl auch das Beste, was man erwarten kann. Er widmet sich nur kurz der Hamas bei der Behandlung des terroristischen Überfalls am 7. Oktober. Vielmehr gilt sein Augenmerk den israelischen Siedlern, die die israelische Gesellschaft seiner Meinung nach in „Geiselhaft“ genommen haben. Durch deren Gewalt waren z.B Soldaten ins Westjordanland beordert worden – weg von der Grenze zu Gaza. Ihre Vertreter:innen in der Regierung sorgen dafür, dass Israel nicht nur wegdriftet von einer liberalen Demokratie – auch die Chance auf Frieden sinkt durch sie und ihre stärker vertretenen und aktiven Bestrebungen nach einem Großisrael. Die Zwei-Staaten-Lösung, die ob der Realität von Siedlungen schon lange eine Utopie geworden ist, wird mit dem aktuellen politischen Weg noch unerreichbarer. #mustread
„Der Liberalismus gegen sich selbst. Intellektuelle im Kalten Krieg und die Entstehung der Gegenwart“
von Samuel Moyn
Nicht, dass der Großteil meiner Bücher typische Urlaubslektüre wäre, aber dieses Buch war es selbst für mich nicht. Inhaltlich sicher spannend, aber ich finde, ziemlich wirr und wirklich nicht gut verständlich geschrieben. Werde ihm aber nochmal irgendwann eine Chance geben.
„Die Achse der Autokraten“
von Anne Applebaum
Nach 3/4 abgebrochen. Kann den Hype um das Buch leider überhaupt nicht verstehen. Unter den Amazon-Rezensionen schrieb einer treffend „Nichts Neues für den, der täglich Zeitung liest“ – und dem kann ich ausgesprochen zustimmen. Von jemandem wie Applebaum habe ich deutlich mehr analytische Tiefe erwartet. Statt dickem Papier um die 180 Seiten so kräftig aussehen zu lassen, hätte sie in einigen Punkten deutlich differenzierter sein können und müssen. „Multipolarität“ ist für sie lediglich ein Propagandabegriff Russlands – den Russland sicher so verwendet, aber es ist eben sehr verkürzt, diesen Begriff lediglich als russische Propaganda abzutun. Den Boden für den Angriff der Hamas am 7.10. bereitete ihrer Ansicht nach das vorherige Ausmaß an Gewalt in Syrien, das ebenso den IS hervorgebracht hat (S. 120). Diesen Zusammenhang konstruiert sie in einem einzigen Satz, um sich dann noch in ein paar Sätzen dem UNHCR in Gaza zu widmen, dann aber wieder zum russischen Einfluss in Syrien zu kommen. Die Sicht Afrikas auf Russland oder den Ukrainekrieg wird nicht nur im afrikanischen Kollektiv und anhand einer Anekdote mit einem Studenten aus Afrika abgehandelt – der einzig mögliche Grund für die Sichtweise oder Ignoranz sind Desinformationen. Dass die Kolonialgeschichte da eine große Rolle spiele, würden wir uns im Westen einreden. Again: eine große Enttäuschung. Analytisch und argumentativ äußerst flach. #itsano
„Die schönste Version“
von Ruth-Maria Thomas
Mehrfach auf Instagram gesehen und dort angepriesen bekommen und es hält was es verspricht. Tolle Geschichte – jede Millennial-Frau und vielleicht alle anderen, werden sich in einigen Teilen wiederfinden. Wunderbar geschrieben, macht Spaß zu lesen und schnürt gleichzeitig auch mehrfach die Kehle zu. #mustread
„Eurotrash“
von Christian Kracht
Nachdem ich im letzten Urlaub Faserland las und begeistert war, musste nun Eurotrash gelesen werden. Bin auch weiterhin ein Fan vom Stil und der Sprache und auch wenn mir die Story von Faserland besser gefiel, hatte ich viel Vergnügen beim Lesen. #goodread
„Die Welt nach den Imperien. Aufstieg und Niedergang der postkolonialen Selbstbestimmung“
von Adom Getachew
Ich hatte erst ganz schön Mühe in dieses Buch reinzukommen, was aber auch daran lag, dass ich irgendwie etwas anderes erwartet habe. Schlussendlich habe ich wahnsinnig viel gelernt: Über das Selbstbestimmungsrecht der Völker und wie und warum es ins Völkerrecht kam. Über all die Diskussionen in der Zeit der Entstehung des Völkerrechts nach dem Zweiten Weltkrieg. Über Vordenker wie Kwame Nkrumah, der sich eine Weltordnung vorstellte, die wirklich frei von Machtgefällen ist. Und über Versuche und das Scheitern von Föderationen in Afrika und den westindischen Inseln. #goodread
„Die Unvereinigten Staaten“
von Stephan Bierling
Statt einer Einführungsvorlesung in das politische System der USA kann man auch dieses Buch lesen. Es erläutert wirklich detailreich und gleichzeitig hervorragend lesbar das politische System der USA. Dabei zeigt Bierling auch anschaulich auf, wie es in diesem System zur Spaltung zwischen dem demokratischen und republikanischen Lager kam, wie wir es heute erleben und welche Auswirkungen diese Spaltung auf das politische System der USA wiederum hat. Vermutlich nehmen selbst ehemalige Amerikanistikstudent:innen noch einiges an Detailwissen aus diesem Buch mit. #goodread
„The End of Ambition. America's Past, Present, and Future in the Middle East“
von Steven A. Cook
Was ist, war und wir die Rolle der USA im Nahen Osten sein? Das erläutert Cook in diesem Buch. Einen besonderen Fokus legt er auf das Scheitern der US-Politik in dieser Region in den vergangenen Jahrzehnten. Aber wie geht es dort für die USA weiter? Gerade als Partner Israels und Saudi-Arabiens? Wie wird mit dem Einfluss Russlands und Chinas in der Region umgegangen und welche Rolle spielt das Thema nachhaltige Energie? #goodread
„Ein Tag im Leben von Abed Salama“
von Nathan Thrall
Man wünscht sich, es sei eine fiktionale Geschichte, so schrecklich, wie diese Geschichte ist. Aber Thrall beschreibt die Realität in der Westbank. Er erzählt eine wahre Geschichte nach und wer es alles nicht glauben kann, findet im Anhang zahlreiche Belege. Durch die drei Wochen, die ich selbst mal in einem Dorf nahe Hebron gewohnt habe, erinnere ich mich an ganz viele der beschriebenen mühsamen Lebensumstände – insbesondere um von A nach B zu kommen, Kontrollen und Gängelungen. Das Buch wäre fast nicht auf deutsch erschienen, weil sich kaum ein Verlag traute, es zu drucken. Dieses, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Buch, spiegelt die erschreckende Realität des Nahostkonflikts wider, die sich hierzulande zu wenige trauen, anzusehen. #mustread
„Hallo, du Schöne“
von Ann Napolitano
Kaufgrund: Autorin hat gleichen Vornamen wie ich. Dass es Barack Obama und Oprah Winfrey empfehlen, hätte mich hingegen nicht überzeugt. An diesem Buch lese ich zwar noch, aber ich kann es jetzt schon ebenfalls empfehlen. Wunderbar geschrieben, eine wunderbare Geschichte aus der Perspektive von drei Personen. Herzlich, schmerzlich, einfach schön. #mustread
„The Rise and Fall of the Neoliberal Order“
von Gary Gestle
Stand bereits ewig im Regal – bin sehr froh, es mitgenommen zu haben. Habe auch hier unfassbar viel Neues gelernt. Das Buch leitet einen Detailreich durch die Zeit des New Deal in den USA bis hin zum Beginn des neoliberalen Zeitalters, das bereits unter Jimmy Carter eingeleitet wurde, und wie es sein Ende gerade findet. Man sieht auch hier sehr schön, was auch Stephan Bierling beschreibt, wie beide Parteien der USA erst wenig unterscheidbar waren und dann diese Polarisierung ab den 1990er Jahren einsetze, in der Hochzeit des Neoliberalismus. Ab der Finanzkrise 2007 konnte man dann auch ganz explizit sehen, welche Auswirkungen diese Ordnung hatte und Gestle beschreibt, wie das Aufkommen Trumps und Sanders das Ende des neoliberalen Zeitalters einleitete. #mustread
„What Really Went Wrong. The West and the Failure of Democracy in the Middle East“
von Fawaz A. Gerges
Was wäre, wenn die USA den ersten demokratisch gewählten Premierminister Irans, Mohammad Mossadegh, nicht mit einer CIA Operation gestützt hätten? Nicht nur die Iraner:innen würden heute vielleicht in Freiheit leben, auch der Nahe Osten sähe heute anders aus: Die „Achse des Widerstands“ existierte so wahrscheinlich nicht und auch Israel würde nicht durch eine mögliche Atombombe bedroht werden. Anhand vom Fall Iran und Ägyptens unter Gamal Abdel Nasser, der zwar kein Demokrat war wie Mossadegh, aber wie so viele nach dem zweiten Weltkrieg nach Selbstbestimmung für sein Land und seine Landsleute strebte, zeigt Gerges, was seiner Ansicht nach im Nahen Osten schief lief, dass dort heute die Demokratie nicht sprießt. Er verwehrt sich richtigerweise dem Vorwurf, dass der Islam und muslimische Gesellschaften einfach nicht für Demokratie gemacht sein. Muss ich noch fertig lesen aber schon ein #mustread




Sehr schöne Empfehlungen - danke. Die Kritik an Applebaums Buch fand ich sehr hilfreich.
Herzlichen Dank für die Mühe, all die Rezensionen so prägnant aufzuschreiben. Super spannende Einblicke und direkt ein paar auf die Leseliste gesetzt 👏