Schaut nach Hong Kong und dann handelt hier — Issue #33
Heute gibt’s den Newsletter mal am Montagmittag, denn wir lieben Überraschungen! Und nun ja, ich hatte Samstag keine Zeit — ich durfte…
Heute gibt’s den Newsletter mal am Montagmittag, denn wir lieben Überraschungen! Und nun ja, ich hatte Samstag keine Zeit — ich durfte beim #Hack4Justice in der Jury sitzen und tolle Projekte gepitcht bekommen, die Digitalisierung und Antidiskriminierung zusammen bringen. Davor durfte noch vier Stunden mit humenta querbeet über die Digitalisierung diskutieren.
Auch die Kirche stand letzte Woche auf meinem Programm. Bei der katholischen Kirche durfte ich in Frankfurt am Main über Wirtschaft und Datenschutz mit Katharina Nocun diskutieren (ich empfehle nochmal dringend ihr Buch!) und dann habe ich aufmerksam die Rede vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier auf dem Kirchentag verfolgt. Der hat dort nämlich auch über die Digitalisierung gesprochen — passend, wo der Kirchentag doch unter der Losung “Was für ein Vertrauen” stattfand. Besonders an der Rede war aber, dass Vertreter:innen diverser Vereine, die sich mit Gesellschaft und Digitalpolitik beschäftigen, am vorigen Freitag ins Bundespräsidialamt eingeladen wurden. Uns wurde dort das Konzept der Rede vorgestellt und wir durften diese kritisch beäugen und Feedback, sowie Wünsche mitgeben. Einer unserer Wünsche war es auch, dass wir diese Gesprächsrunde zum Austausch beibehalten und dass der Bundespräsident noch mehr Mut beim Thema Digitalisierung macht, zur Neugierde und zur Bewahrung der Grund- und Freiheitsrechte aufruft und ermahnt und mehr Leute dazu bringt, darüber zu diskutieren, wie wir leben wollen. Wir bleiben gespannt!
Und nun viel Spaß beim Newsletter und der Hitze-Woche. Eincremen nicht vergessen!
Ann Cathrin
Die Proteste in Hong Kong zeigen sehr eindrucksvoll, warum Privacy so wichtig ist und wir die Sorgen vor Datenschutz und Überwachungsmaßnahmen — vor allem all die kleinen, schleichenden — nicht länger belächeln sollten. Die Hong Konger protestieren in Massen gegen ein Gesetzesvorhaben, dass Auslieferungen nach China ermöglichen soll. Hong Kong ist noch ziemlich unabhängig vom “Mainland China” und Demokratie und Datenschutz werden hier vor Chinas Einfluss intensiv verteidigt. Das bestätigte man mir auch mehrfach bei meinem Besuch Anfang des Jahres.
Bei den Protesten verzichteten die Hong Konger nun auf ihre Octupus-Card. Eine Karte, mit der sie Tickets für den Öffentlichen Nahverkehr kaufen können und in vielen Läden ihre Einkäufe bezahlen können. Sie kauften sich stattdessen Papiertickets — es bildeten sich an den Automaten lange Schlangen. Sonst benutzt fast niemand diese Tickets. Auch wenn die Octupus-Cards nicht auf einen Namen laufen, sind sie doch häufig mit Kreditkarten verknüpft. Es ist also möglich, herauszufinden, wer zu den Protesten fuhr und wer nicht. Die Furcht davor, dass das passiert, war so groß, das man sich eben massenweise für Papiertickets entschied. Ebenso löschten mehrere Hong Konger ihre chinesischen Apps und wechselten zu verschlüsselten Messengern.
The scene in Hong Kong, however, illustrates an important truth: Privacy harms are often a time-shifted risk. In a world that runs on data, everyday uses of technology can suddenly put people in danger when circumstances change. This also means the opposite: Most of the time, most people won’t feel the cost of having their data exploited.
Wie wichtig und essentiell Bürgerrechte sind, merkt man meistens erst, wenn es zu spät ist. Vor allem die Mehrheitsgesellschaft. Minderheiten sind schon weitaus früher und intensiver von diesen Einschränkungen betroffen: “We need to stop thinking about privacy as an individual experience and start thinking about it as a right whose violation affects us collectively — with the heaviest burden often imposed on those who are already marginalized.”
Wer selber keine Zeit oder auch Lust hat, sich für Freiheitsrechte einzusetzen (man kann nicht immer alles machen), kann auch einfach an Organisationen spenden, die sich dafür einsetzen. Zum Beispiel die Gesellschaft für Freiheitsrechte. Geht auch ganz leicht per PayPal!
Übrigens: Pornowebseiten haben ihre Dienste in Hong Kong eingestellt, damit die Menschen zu den Protesten gehen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Pornowebseiten-Betreiber:innen mehr für Grund- und Freiheitsrechte tun, als so manch andere Organisation: “ThisAV urging users to attend the “life or death” protests instead of “jerking off at home”.”
What Hong Kong’s Protestors Can Teach Us About the Future of Privacy — gizmodo.com
“Sicherheit durch Verschlüsselung, Sicherheit trotz Verschlüsselung” — wie man dieses Paradox auflösen möchte, das werden wir wohl nie aus dem Innenministerium erfahren. Dort hatte Horst Seehofer mal wieder eine geniale Idee: Messengerdienste sollen ihre Verschlüsselung aufheben können, wenn Sicherheitsbehörden das wollen. Macht man dann natürlich nur bei den Terrorist:innen, das können dann ausschließlich die Sicherheitsbehörden und die Sicherheit aller wird selbstredend nicht gefährdet. Na sichi! Weil das eben nicht so ist, hat die Stiftung Neue Verantwortung einen Offenen Brief geschrieben — einen ziemlich langen und ausführlichen, mit Quellen und allem Pipapo, damit auch der oder die Letzte versteht, dass das so überhaupt gar nicht geht. Wir haben das als LOAD natürlich mitgezeichnet. Es war abermals ein sehr breites Bündnis und doch würde ich mir unter anderem von der Wirtschaft ein viel lauteres Aufschreien und Beschweren wünschen. Großartig ist aber, dass auch der Kirchentag eine eigene Resolution verabschiedet hat und die Bundesregierung auffordert, sich für Verschlüsselung und die Einhaltung von Grundrechten einzusetzen! Genau von solchen gesellschaftlichen Akteuren muss sowas kommen. Und zwar vermehrt! Denn diese Einschränkungen treffen uns alle!
Entschlüsselungszwang für WhatsApp: Offener Brief ans Bundesinnenministerium — SPIEGEL ONLINE — www.spiegel.de
Anngeret Kramp-Karrenbauer sprach gestern bei Anne Will schon wieder davon, dass sie gerne wissen will, mit dem sie da im Internet spricht. Ich fürchte schon, die Klarnamenpflicht wird uns mindestens den ganzen Sommer über begleiten. Auch wieder ein Thema, das zum hundertsten Mal hoch kocht und scheinbar immer noch nicht alle begriffen haben, dass das eine total dumme Idee ist und auch Analogien aus der analogen Welt überhaupt nicht ziehen. Warum Kramp-Karrenbauer mit solchen schwachsinnigen Ideen daher kommt — ich weiß es nicht. Hat sie doch genug Kompetenz in den eigenen Reihen, die es besser wissen. Peter Tauber hat dazu bereits 2011 einen ganz tollen Blogbeitrag geschrieben, der zeigt, wie sehr uns Anonymität gerade auch in einer Demokratie schützt und wo wir auch in der analogen Welt die Vorteile von Anonymität täglich nutzen — und sie auch brauchen.
Und natürlich gibt es Probleme mit Menschen im Netz, die dort Hass verbreiten. Übrigens ziemlich oft unter Klarnamen. Aber wie so oft: lasst uns doch bitte wirkungsvolle Gesetze machen, die unsere Grund- und Freiheitsrechte nicht einschränken. Ulf Burmeyer hat dazu einen spannenden Vorschlag gemacht: ein Digitales Gewaltschutzgesetz. Kann nicht ermittelt werden, wer hinter einem Account steht (das kann man auch ohne Klarnamen), können Gerichte dazu verpflichten, Accounts, die Hass verbreiten, zu sperren.
Statt Klarnamen: Digitales Gewaltschutzgesetz — Tagesspiegel Background — background.tagesspiegel.de
Durch TikTok verstehe ich ja all die Gefühle, die Menschen haben, wenn Sie sich mit neuen Sachen beschäftigen müssen. Ganz nach Douglas Adams, außer, dass das im Fall von TikTok bei mir schon mit 31 anfängt 😳
I’ve come up with a set of rules that describe our reactions to technologies:
1. Anything that is in the world when you’re born is normal and ordinary and is just a natural part of the way the world works.
2. Anything that’s invented between when you’re fifteen and thirty-five is new and exciting and revolutionary and you can probably get a career in it.
3. Anything invented after you’re thirty-five is against the natural order of things.
Nur werden wir alle nicht drum rum kommen. Unternehmen nicht, Politik nicht und auch Medienhäuser nicht. Einige US-Medienunternehmen spielen schon damit und schauen, wie sie — gerade jungen Menschen — so einen Zugang zu Nachrichten ermöglichen können. Ziemlich spannend und durchaus wichtig. Denn auch Nachrichten müssen und können(!) anders als über die klassischen Formate vermittelt werden. Und das geht ganz gut, ohne ständig Quatsch zu machen. Darüber habe ich vergangene Woche auch mit mehrere Medienvertreter:innen und Wissenschaftler:innen beim Dahrendorf Forum an der Hertie School diskutiert. War sehr spannend und im deutschsprachigen Raum ist da noch viel zu tun. Aber es gibt tolle Leute, die da was bewegen wollen.
Meet TikTok: How The Washington Post, NBC News, and The Dallas Morning News are using the of-the-moment platform » Nieman Journalism Lab — www.niemanlab.org
Rasputin singt Beyoncé. Aus einem statischen Foto wurde ein Bewegtbild mit Stimme gemacht. Man sieht noch, dass es Fake ist, aber es ist Wahnsinn, mit was für einer Geschwindigkeit, diese Deep Fakes besser werden. Ich habe schon mal gefragt, ob wir als Gesellschaft auf solche Manipulationen vorbereitet sind. Ich glaube weiterhin bei Weitem nicht. Und die US-Wahlen stehen vor der Tür…
New deepfake tech turns a single photo and audio file into a singing video portrait — The Verge — www.theverge.com
Von Kryptowährungen habe ich nicht wirklich Ahnung, aber das was Facebook und andere Unternehmen da vor haben, das denke ich, sollte man kritisch beäugen. Eine Währung in der Hand von Unternehmen, da gibt es einige Kritikpunkte dran. Einer ist dieser hier:
Imagine Facebook’s subsidiary Calibra knowing your account balance and your spending, and offering to sell a retailer an algorithm that will maximize the price for what you can afford to pay for a product. Imagine this cartel having this kind of financial visibility into not only many consumers, but into businesses across the economy. Such conflicts of interest are why payments and banking are separated from the rest of the economy in the United States. […] Sorry, but no thanks: We should not be setting up a private international payments network that would need to be backed by taxpayers because it’s too big to fail.
Ich werde mich mal in die Thematik etwas reinfuchsen und bin gespannt, was hier bei Libra noch passieren wird.
Opinion | Launching a Global Currency Is a Bold, Bad Move for Facebook — The New York Times — www.nytimes.com
BOTTOM OF THE LETTER
Falls jemand immer noch glaubt, es gäbe Social Bots: lest diesen Text von Michael Kreil und Florian Gallwitz!
Vertreter:innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft lassen kein gutes Haar an der EU-Urheberrechtsreform. Na sowas.
Eine interaktive Karte als Übersicht für chinesische Unternehmen, die man kennen sollte.
Deutschland exportiert fleißig Überwachungstechnologien an autokratische Staaten.
Twitter entfernt das Geo-Tagging. Gut für die Privatsphäre, schlecht für Journalist:innen, die Twitter z.B. für Augenzeug:innen-Berichte nutzen.
Datenmissbrauch bei der Polizei: ein Beamter hat seinen Zugang missbraucht um eine Frau zu stalken.
Instagram und Schwangerschaft: die nächste Perfektionismus-Hölle.
Ein Gesetz für Influencer, damit es dort einen ordentlichen Rechtsrahmen gibt. Ich bin gespannt.
Rassismus in Algorithmen. Wir haben noch sehr viel zu tun!
Frankreich hat ein Gesetz erlassen, dass verbietet, richterliche Urteile auszuwerten und zu analysieren.
Zu viel Gespame: WhatsApp wird den Newsletter-Versand zum Ende des Jahres unterbinden.
Der Mittelstand ist auf der Suche nach einer politischen Heimat, schreibt Diana Scholl.
Elke Tonscheidt hat mich für ihren Blog Ohfamoos interviewt: Politik braucht den Kontrollverlust.
Morgen, am 24. Juni, diskutiere ich im BASECAMP zu “Digitales Europa — Upgrade, Update oder Stillstand?”