Put democracy first — Issue #67
First things first — also noch vor der Demokratie — ich muss mich für den ausgefallenen Newsletter letzte Woche entschuldigen. Einfach…
First things first — also noch vor der Demokratie — ich muss mich für den ausgefallenen Newsletter letzte Woche entschuldigen. Einfach nicht geschafft. Nächste Woche wird es sehr wahrscheinlich auch keinen geben, da werde ich mich als LOAD-Vorsitzende wieder wählen lassen. Wenn alles klappt. Corona, Risikogebiet und Beherberbungsverbot sind die Stichworte, die das wenn verhindern könnten. Wobei wir natürlich noch immer demokratisch wählen. Aber ich glaub, es sieht ganz gut aus, dass ich das noch zwei Jahre weitermachen darf. Und ich würde mich riesig darüber freuen.
Die letzte Woche sollte ich Urlaub machen und ich hab einfach mal wirklich nichts getan. Ich bin noch am überlegen, ob Urlaub und ich so ein gutes Konzept ist. Vielleicht liegt die Wurzel allen Übels auch tiefer, aber ich werde da nicht weiter drüber grübeln. Ich freue mich zumindest morgen endlich wieder arbeiten zu dürfen.
Natürlich habe ich aber nicht komplett nichts gemacht, sondern wenigstens etwas gelesen und genetflixt. Oder geARDmediathekt. Erstmal zum Lesen: Ich habe nebst meinen hundert angefangenen Büchern noch weitere hundert angefangen, aber auch eins zu Ende gebracht: Mamas Geburtstagsgeschenk. Liegt nicht nur daran, dass es das ist, sondern auch daran, dass es über Hannah Arendt ist und bekanntlich habe ich seit dem Frühjahr einen riesigen Crush auf sie. Daher sage ich Euch: Lest alle “Denkerin der Stunde. Über Hannah Arendt” (am besten gleich hier bei Mama, liefert deutschlandweit). Ein richtig gutes Buch und geht schnell zu lesen. Und jetzt weiß ich auch was ich als Nächstes von ihr lese und worüber ich schreiben werde: Wahrheit und Lügen.
Demnächst kommen dann sicher noch weitere Leseempfehlungen und ich vermute — Obacht — da wird auch ein Roman dabei sein 😱 Urlaub geht nicht ohne Bewegtbild und wie schon angekündigt, hier noch zwei tolle Sachen zum Gucken: Parlament — eine trilinguale Serie über das EU-Parlament in der ARD Mediathek und Netflix Explained über die US-Wahlen. Also, alles im Zeichen der Demokratie und darum geht es (eigentlich wie immer mindestens indirekt) auch in der heutigen Ausgabe meines Newsletters. Viel Spaß beim Lesen!
Ann Cathrin
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WHAT TO KNOW
Dass unsere Demokratien ganz schön unter Druck stehen, haben wohl die meisten mittlerweile gemerkt. Dass es immer mehr autoritäre Staaten und Unternehmen werden, die bestimmen, wie die digitale Welt funktioniert und was eigentlich machbar ist, haben irgendwie noch nicht genug Menschen gemerkt. Marietje Schaake sagt in diesem Gastbeitrag, dass es höchste Zeit ist, dass demokratische Staaten sich zusammenschließen und Spielregeln für die vernetzte Welt vereinbaren, die nicht nur demokratisch legitimiert sind, sondern auch unsere Werte in der Entwicklung dieser digitalen Welt verankern. Gerade auch weil es in Demokratien durch die demokratischen Prozesse so lange dauert, gute Regularien zu entwickeln, sollten wir schnell handeln.
Today, technology regulation is often characterized as a three-way contest between the state-led systems in China and Russia, the market-driven one in the United States, and a values-based vision in Europe. The reality, however, is that there are only two dominant systems of technology governance: the privatized one described above, which applies in the entire democratic world, and an authoritarian one.
The laissez-faire approach of democratic governments, and their reluctance to rein in private companies at home, also plays out on the international stage. While democratic governments have largely allowed companies to govern, authoritarian governments have taken to shaping norms through international fora. This unfortunate shift coincides with a trend of democratic decline worldwide, as large democracies like India, Turkey, and Brazil have become more authoritarian. Without deliberate and immediate efforts by democratic governments to win back agency, corporate and authoritarian governance models will erode democracy everywhere.
Marietje Schaake, übrigens auch Teil des Real Facebook Oversight Boards (s.u.), nennt folgende Punkte, die dringend reguliert werden müssen — und zwar von demokratischen Staaten, eine Community of Democracies, die “D7” oder “D20”, ähnlich wie die “G7” oder “G20”:
freedom of expression
microtargeting political ads
digital operations of elections and campaigns
trade rules for the digital economy
security of supply chains
cyberwar and hybrid conflict
Ein paar dieser Punkte werden auch aktuell angegangen. Zum Beispiel im Digital Services Act in der Europäischen Union. Auch dazu unten mehr.
If democratic governments do not assume more power in technology governance as authoritarian governments grow more powerful, the digital world — which is a part of our everyday lives — will not be democratic. Without a system of clear legitimacy for those who govern — without checks, balances, and mechanisms for independent oversight — it’s impossible to hold technology companies accountable. Only by building a global coalition for technology governance can democratic governments once again put democracy first.
Ich glaube leider, dass zu vielen noch nicht die Bedeutung der Notwendigkeit von guter Regulierung in diesen Bereichen bewusst ist. Und dass wenn etwas getan wird, der schnelle kommunikative Erfolg (siehe NetzDG, auch unten) und angeblicher politischer Erfolg höher gewertet wird, als der langfristige. Dabei sind die Weichenstellungen, die wir jetzt machen müssen zu wichtig und ihre Implementierung zu nachhaltig (eben auch im negativen Sinne), als dass wir hier etwas für den kurzfristigen ,vermeintlichen Erfolg aufs Spiel setzen sollten.
How democracies can claim back power in the digital world — MIT Technology Review — www.technologyreview.com
Letzte Woche hatte ich nur in der Link-Liste das Real Facebook Oversight Board erwähnt. Ein Oversight Board aus Expert:innen, die nicht länger darauf warten wollen, dass Facebook das eigene Oversight Board startet (nämlich erst nach der US-Wahl und das halten sehr viele für gefährlich). Die Webseite des RFOB wurde vom Provider plötzlich offline genommen. Angeblich hat Facebook eine Verletzung von Markenrechten dort gemeldet und um Offline-Schaltung gebeten. Das wurde später bestritten, obwohl E-Mails anderes zeigen. Es sei automatisch passiert, dadurch dass die Domain “Facebook” beinhalte. Doch normalerweise würde solch ein Vorwurf der Verletzung von Markenrechten einen Schlichtungsprozess einläuten, bei dem sich der Beschuldigte zu den Vorwürfen äußern kann. Der dauert normalerweise ein paar Monate — hier wurde die Webseite einfach vom Netz genommen. “Nothing says ‘free speech’ quite as much as a multibillion-dollar corporation with a global monopoly getting its critics shut down.”, twitterte daraufhin die Journalistin Carole Cadwalladr, die auch von Facebook Mitarbeitern öffentlich angegangen wurde und bei der Aufdeckung des Cambridge Analytica Falls maßgeblich beteiligt war.
Facebook Just Forced Its Most Powerful Critics Offline — www.vice.com
Spionage war noch nie so einfach. Auch war es nie so einfach Gegner:innen eines Regimes in ihren neuen Heimatländern zu verfolgen, ihnen Angst zu machen und zu drohen und ihr Engagement zu unterbinden. Diese Recherche über staatliche Hacker Vietnams, die Vietnamnes:innen hier in Deutschland ausspähen und unter Druck setzen zeigt eindrücklich, wie unfrei Menschen selbst in vermeintlich sicheren Ländern leben müssen, wenn sie sich weiterhin politisch engagieren. Die Bundesregierung hier in Deutschland hat diese Thematik zu wenig auf dem Schirm. Obwohl wir auch gerade durch russische Auftragsmorde, wie den im Berliner Tiergarten, immer häufiger sehen, wie Regime hier in Deutschland unliebsame Menschen umbringen oder verfolgen. Anlaufstellen für Menschen, die das Gefühl haben, von ausländischen staatlichen Hackergruppen verfolgt und ausspioniert zu werden, gibt es zudem auch nicht.
Facebook zerschlagen als Lösung für alle Probleme. Hört sich so einfach an, wird aber nichts lösen. “Breaking up Facebook does nothing to promote the market conditions needed to sustain competition because network effects will simply push the next Facebook-like company into a dominant position. Breaking up one company won’t change the underlying market economics.” Wir müssen hier an viel grundlegendere Probleme ran, sagt Sinan Aral in dem unten verlinkten Text. Und auch er nennt ähnliche Punkte, die reguliert werden müssen, wie ich bereits oben von Marietje Schaake aufgelistet habe.
Ein Punkt ist Interoperabilität, also dass ich zum Beispiel von WhatsApp Nachrichten an Telegram schicken kann. Schließlich kann ich das auch von meinem Gmail-Konto zu einer AOL-E-Mailadresse (sollte jemand noch so eine besitzen). Auch, dass ich mittlerweile meine Telefonnummer von einem Provider zum anderen mitnehmen kann, ist mittlerweile gesetzlich vorgeschrieben. Warum sollten wir also nicht auch mehr uns bessere Regelungen für den digitalen Markt schaffen?
Wie oben bereits erwähnt, ist die EU bereits da dran. Mit dem Digital Services Act soll ein umfassendes Paket verabschiedet werden, dass die digitale Welt besser reguliert. Die t3n hat hier einmal zusammengefasst, was man damit erreichen möchte:
“Die Regeln des digitalen Binnenmarkts in Europa sollen vereinheitlicht werden und es soll damit beispielsweise für Startups leichter gemacht werden, in Europa zu expandieren.
Die Europäische Kommission möchte einen Kontrollrahmen schaffen, um große digitale Konzerne wie Facebook besser zu überwachen.
Mit neuen Regeln will die Europäische Kommission die Marktmacht der großen Tech-Konzerne einschränken, gegen Monopolbildung und Netzwerkeffekte vorgehen und damit kleineren Anbietern eine Chance geben.”
Das soll unter anderem dadurch erreicht werden, dass Plattformen zur Interoperabilität verpflichtet werden, Daten geteilt werden müssen und Plattformen ihre eigenen Produkte nicht mehr präferiert platzieren dürfen. Wir dürfen gespannt sein, was schlussendlich dabei rauskommt. Dass uns harte Debatten bevor stehen, dürfte klar sein.
Im Übrigens sind auch gerade die USA dabei, etwas gegen die Marktmacht von GAFA zu unternehmen.
Breaking Up Facebook Won’t Fix Social Media — hbr.org
Dass unser NetzDG ein richtiger Exportschlager ist, darüber habe ich hier schon ein paar Mal geschrieben. Leider kein ein Exportschlager in den coolsten Ländern.
A total of 11 new countries have followed the German template, whether by conscious policy or not. Four of these countries make specific reference to the NetzDG (Kyrgyzstan, Brazil, Austria, Turkey).
Only one of the new countries is free (Austria), 7 are “partly free” (Mali, Morocco, Nigeria, Cambodia, Indonesia, Kyrgyzstan and Brazil) and 3 are “not free” (Ethiopia, Pakistan and Turkey).
All countries require online platforms to remove vague categories of content that include “false information” (Kyrgyzstan, Nigeria and Morocco), ‘blasphemy’/’religious insult’ (Indonesia, Austria, Turkey), ‘hate speech’ (Austria, Cambodia), incitement to generate anarchy (Cambodia) and ‘personal and privacy rights’ (Turkey). Most of these categories are difficult to reconcile with international human rights standards.
Worryingly few of these countries have in place the basic rule of law and free speech protections built into the German precedent as witnessed by Turkey’s rapidly shrinking space for both online and offline dissent.
Die Türkei hat gerade sogar die schlechteste aller Kopien des deutschen NetzDG verabschiedet. Zwar sagen die Autor:innen, dass man das Deutschland nicht vorwerfen könne, dass diese Länder das NetzDG kopieren und zu ihren Gunsten nutzen. Dennoch müsse man gerade bei europäischer Gesetzgebung (auch der Digital Services Act wird sich mit dem Thema Hate Speech und Regulierung beschäftigen) besonders aufpassen: “But the fact that the spread of illiberal norms based on the NetzDG precedent has continued unabated should give European democracies and the Commission food for thought when it comes to countering illegal online content while preserving free speech.”
Ich denke hingegen schon, dass man ein bisschen mehr ein Augenmerk darauf legen sollte, dass wir mit unseren Gesetzen Vorbild in der Welt sind. Und dass wir ein bisschen sorgsamer — auch für uns — unsere Gesetzgebung machen sollten. Denn nicht alle Menschen haben das Glück wie wir in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben und vor ein Verfassungsgericht, wenn nötig, ziehen zu können. Dass regelmäßig bei uns Gesetz verabschiedet werden, die Sprache im digitalen Raum betreffen, aber wahrscheinlich verfassungswidrig sind, sieht man abermals am neusten Wurf: Das Gesetz gegen Rechtsextremismus uns Hasskriminalität wird wegen verfassungsrechtlicher Zweifel vom Bundespräsidenten vorerst nicht unterschrieben. Na wer hätte das denn ahnen können.
The Digital Berlin Wall: How Germany built a prototype for online censorship — EURACTIV.com — www.euractiv.com
WHAT TO WATCH
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WHAT TO READ
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Tightening the Net 2020: After Blood and Shutdowns. Über Internetshutdowns in Iran.
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