Memories — Issue #81
Ja, ich weiß, Ihr habt alles sehnsüchtig auf die nächste Ausgabe des Newsletters gewartet. Diese Pandemie zerrt aber auch an einem. Und wo bleibt überhaupt der Frühling? Mein Telefon erinnert mich momentan täglich daran, dass das Wetter vor einem Jahr deutlich besser und vor allem wärmer war. Ich trage immer noch meinen Wintermantel — wir haben jetzt Mai! Und es erinnert mich an mein Café, das ich wirklich sehr vermisse. Dort habe ich immer viel gelesen und diesen Newsletter geschrieben. Draußen sein, mal woanders sein, unter Leuten — ohne mit ihnen reden zu müssen oder manchmal doch mit ihnen ins Gespräch kommen — oh Gott, ich vermisse es so sehr.
Neben dem braven zu Hause bleiben, gab es aber bei mir doch ein bisschen draußen sein. Häufigere Spaziergänge, weil man einfach Licht und Bewegung braucht — sonst geht man absolut ein. Mittlerweile als feste Verabredung zum Mittag. Und mit Mama ging es einen Tag ans Meer. Man glaubt gar nicht wie gut das tat. Man sah und sieht es mir anscheinend sogar an.
Vor nun zwei Wochen gab es außerdem das For..Net Symposium von Prof. Dirk Heckmann. Nachdem es letztes Jahr ausfallen musste wegen der Pandemie — so kurzfristig ging damals keine digitale Konferenz — fand sie nun in diesem Jahr zum Thema Gemeinwohl und Digitalisierung statt. Insbesondere die Themen Bildung, Nachhaltigkeit, Gesundheitsschutz und Bürgerrechte wurden sich hier in hochkarätigen Panels angeguckt, von denen ich zwei moderieren durfte. Was überhaupt schon eine Ehre ist, aber wenn man moderiert, ist man (oder ich 😬) einfach noch aufmerksamer und kann viel lernen. Ein Symposium von Dirk Heckmann wäre nicht ein Symposium von Dirk Heckmann, wenn nicht auch für das Drumherum gesorgt gewesen wäre: Es gab also ein Online-Cocktailmixen, live aus einer Bar in Passau, um dann mit einem Getränk in der Hand Live-Musik über Zoom hören und sehen zu können. Großartig! Natürlich durften auch zwei weitere wichtige Ereignisse nicht fehlen: Der For..Net Award für unermüdliches Engagement für Gemeinwohl und Digitalisierung wurde wieder verliehen. Dieses Jahr erhielt hin wohlverdient Marina Weisband. Und auch der For..Net Media Award wurde dieses Jahr verliehen, nachdem ich ihn vergangenes Jahr als Erste bekommen hatte. Alle Teilnehmer:innen des Symposiums waren die Jury und durchgesetzt hat sich Isabelle Ewald mit ihrem Podcast “Mind the Tech — True Crime aus dem Internet”, den ich Euch unten verlinkt habe.
Und bevor es losgeht mit den Newsletter noch eine kleine Erinnerung beziehungsweise Bitte, da Ihr Euch ja gerade alle impfen lasst, oder immer mehr Menschen in Eurem Umfeld eine Impfung erhalten: Installiert Euch die SafeVac 2.0-App vom Paul-Ehrlich-Institut. Damit könnt Ihr tracken, welche Nebenwirkungen Ihr habt (oder dass Ihr keine habt). So können wir benötigte Daten und Informationen zu den Impfstoffen zusammentragen. Gibt eben auch gute und sinnvolle Apps 😉Und da wir schon beim Impfen sind und es gleich losgeht mit dem iOS-Update von Apple: mit diesem hat sich auch das Spritzen-Emoji geändert.
Ich hoffe jetzt auf Sonne, auch wenn für Berlin Regen angekündigt ist. Aber die Hoffnung — auch auf Frühling — stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Ann Cathrin 🌷
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WHAT TO KNOW
Apple hat das lang angekündigte Privacy-Update herausgebracht. Ganz generell solltet Ihr immer Software- und Betriebssystem-Updates einspielen, denn sie bringen nicht nur neue Funktionen, sondern schließen zumeist auch Sicherheitslücken, die unweigerlich immer auftreten. Das iOS 14.5 Update ist aber auch ein besonders, denn fortan werden Euch Eure Apps immer fragen, ob Ihr ihnen erlaubt Euch zu tracken. Wie geil ist das? Ich finde es absolut großartig, denn so gibt es endlich ein bisschen mehr Privatsphäre auf dem Smartphone und ich wünschte, solche Abfragen wären verpflichtender Standard (übrigens kann man auch generell nein zum Tracking sagen, dazu einfach in die Einstellungen > Datenschutz gehen).
Geht nun die Werbeindustrie vollkommen kaputt? Nein. Denn ich kann damit nur unterbinden, dass meine Apple-Werbe-Tracking-ID verwendet wird, nicht andere Tracker/Cookies, die eh schon in den Apps eingebunden sind. Die Werbeindustrie in Deutschland hat deswegen Beschwerde beim Kartellamt eingereicht. In Frankreich wurde eine ähnliche bereits abgewiesen. Für mich auch ganz logisch: Schließlich übt Apple hier keine Monopolstellung aus, denn es verbietet Tracking zum einen nicht grundsätzlich, zum anderen geht es hier um Apples eigene Werbe-ID. Apple gibt lediglich den Nutzer:innen nun einfacher die Möglichkeit darüber zu entscheiden, ob sie getrackt werden wollen oder nicht. Sie können sich immer noch dafür entscheiden. Dass die Branche so Angst davor hat, dass sich die Nutzer:innen gegen das Tracking entscheiden würden, sollte wahrlich zu denken geben. Gehen sie etwa nicht redlich mit unseren Daten um?
Gerade Facebook spannt nun Klein- und Kleinstunternehmer:innen vor den Karren und behauptet mit ihnen, dass sie nun nicht mehr gut online verkaufen könnten. Aber auch das stimmt mitnichten. Denn Facebook hat weiterhin genügend Daten, die es nutzen kann, um personalisierte Werbung auszuspielen. Nur das Tracking einer Person über verschiedene Geräte und Apps hinweg ist nun nicht mehr ganz so einfach (aber weiterhin möglich). Abgesehen davon: Als Unternehmerin muss ich darauf vertrauen, dass Facebook meine Werbung wirklich an Menschen ausspielt, die sich für mein Produkt interessieren könnten. Und wie oft habt Ihr schon Werbeanzeigen gesehen, bei denen Ihr dachtet “wie kommt Facebook darauf, dass mir DAS gefallen könnte”? Eben. Außerdem sind auch Unternehmer:innen Menschen, die sowohl ein Recht auf, als auch ein Bedürfnis nach Privatsphäre haben. Bei den neuen App-Updates aus dem Facebook-Universum weist das Unternehmen übrigens daraufhin, dass die Apps dann sicher kostenlos bleiben, wenn man das Tracking erlaubt. Ich finde das ziemlich verlogen.
Wer sich das Ganze nochmal im Bewegtbild ansehen möchte: mit Jörg Schieb habe ich für sein Format Angeklickt bei der Aktuellen Stunde des WDR darüber gesprochen.
To Be Tracked or Not? Apple Is Now Giving Us the Choice. — The New York Times — www.nytimes.com
Was tun gegen Desinformation? So heißt mein jüngstes Papier bei der Friedrich-Naumann-Stiftung. Klagen habe ich dort so direkt nicht aufgenommen. Wohl aber, dass man den Rechtsweg bestreiten muss, wenn es sich um rechtswidrige Inhalte handelt, und dass sowohl unser Justizwesen, als auch unsere Polizei besser auf Ermittlungen im digitalen Raum vorbereitet sein muss. Renate Künast zieht nun abermals vor Gericht und will einen Präzedenzfall schaffen, indem sie Facebook darauf verklagen will, nachweislich falsche Zitate, bzw. Memes mit dieser falschen Aussage konsequent zu löschen.
Das Verfahren bestreitet Künast abermals in Zusammenarbeit mit HateAId, die sich für Opfer digitaler Gewalt einsetzen.
Der Fall von Künast sei kein Einzelfall, betonte HateAid-Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg. Betroffen von Verleumdungskampagnen, Hassrede und Gewalt im Internet seien besonders Kommunalpolitiker, Journalisten oder Aktivisten — die Mehrzahl davon Frauen. Es seien Menschen, die sich für demokratische Werte, den Rechtsstaat, für Klimaschutz, für Gleichberechtigung oder Rassismus engagierten.
„Diese Klage ist stellvertretend für die vielen Menschen, die das derzeit aushalten müssen und die bisher keine finanziellen Mittel oder auch die Kraft hatten, gegen die großen Social-Media-Plattformen vor Gericht zu ziehen“, sagte Hodenberg. Falls nötig, werde man dafür durch alle Instanzen gehen.
Ich bin sehr gespannt, wie hier geurteilt wird. In den USA wird aktuell übrigens auch mittels Schadensersatzklage gegen verbreitete Desinformation vorgegangen. Zwei Hersteller von Wahlmaschinen gehen gegen den Sender FOX News vor Gericht und verklagen diesen auf insgesamt 4,3 Milliarden Dollar. Eine Summe, bei der der Medienkonzern ganz schön schlucken muss und bereits früher “Journalist:innen” von Board genommen hat, die mit ihren diffamierenden Äußerungen für enorme Klagen gesorgt haben. In diesem Fall geht es um die Befeuerung der Behauptung, dass die Hersteller ihre Wahlmaschinen zugunsten von Joe Biden manipuliert hätten. Ob das der Weg ist, Desinformationen in den Griff zu bekommen? Wir werden sehen.
Grüne gegen Social-Media-Riesen: Renate Künast zieht gegen Facebook vor Gericht — Berlin — Tagesspiegel — www.tagesspiegel.de
Noch ein bisschen mehr zu Desinformation und ihrer geschlechtsspezifischen Bedeutung. Mit der Kür von Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin kann man sehr gut beobachten, mit was für unterschiedlichen Standards Frauen im Gegensatz zu Männern gemessen werden. Und auch, wie anders die Angriffe gegen sie sind. Annalena Baerbock hat wie so viele politisch aktive Frauen insbesondere mit Angriffen auf ihr Geschlecht zu tun, was heißt, sie wird weil sie eine Frau ist diskreditiert, bekommt Vergewaltigungsdrohungen etc.
Auch unter Falschmeldungen leiden Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen deutlich stärker als Männer. Bereits bei Hilary Clinton und dem Pizzagate konnte man sehen, wie Desinformationen gezielt eingesetzt wurden, um einer Frau zu schaden. Auch bei Obama konnten wir diesbezüglich seines Geburtsorts sehen. An ihm sehen wir auch, dass neben Frauen vor allem nicht-weiße, nicht-christliche Menschen ebenso deutlich stärker davon betroffen sind.
Jetzt im Wahljahr diskutieren wir ja bereits wieder das Thema Deep Fakes. Dabei ist vor allem die Angst vor Deep Fakes deutlich bedrohlicher, als ein Deep Fake selber — also hochaufwendig manipulierte Videos (z.B. dieses hier von Obama). Dabei wird im öffentlichen Diskurs nahzeu ausschließlich über die Gefahr von Deep Fakes bezüglich Wahlmanipulation, das heißt im politischen Kontext gesprochen. Dabei sind Deep Fakes schon lange ein enormes Problem, aber in einem völlig anderen Bereich. 90 bis 95 % der Deep Fakes sind manipulierte pornografische Aufnahmen, davon betreffen 90 % der Manipulationen Frauen. Mit unter anderem sogenanntem Revenge Porn werden sie als Person im Netz diskreditiert. Das Trauma für betroffene Frauen ist kaum vorstellbar, insbesondere weil sie zumeist machtlos sind. Weder Plattformen, noch die Polizei unternehmen etwas gegen diese Aufnahmen. Zumeist, weil sie es gar nicht können. Auch die deutsche Bundesregierung hat diese Thematik überhaupt nicht auf dem Schirm, wie eine Anfrage von Manuel Höferlin (FDP) zeigte. Die USA und Großbritannien wollen nun rechtlich etwas dagegen tun. Das ganze Ausmaß der Problematik kann hier nachgelesen werden. Dass das Problem auch bei uns wirklich nicht fern ist, zeigt auch der unten verlinkte Artikel. Von Annalena Baerbock sind bereits manipulierte Nacktbilder aufgetaucht und verbreitet worden.
Die Angst vor Deep Fakes wird übrigens auch besonders marginalisierte Gruppen treffen. Videobeweise haben dafür gesorgt, dass unter anderem in den USA der Totschlag an George Floyd und anderen Afroamerikaner:innen gefilmt wurde. Dass diese Videobeweise nun zugelassen und überhaupt vorhanden sind, ist ein Fortschritt. Doch was bedeutet es, wenn Videos so leicht manipuliert werden können? Sie müssten schon bei der Aufnahme verifiziert werden. Doch solche speziellen Chips machen das Smartphone teurer und marginalisierte Gruppen, die finanziell eher schwächer aufgestellt sind, können sich diese eher nicht leisten. Das heißt, die, die auf verifizierte Videos angewiesen sind, um sie als Beweismaterial zu haben, werden sie im Falle des Falles erstmal nicht erstellen können.
Geschlechtsspezifische Desinformation: Wie Politikerinnen im Netz diskreditiert werden | tagesschau.de — www.tagesschau.de
Nochmal Desinformation: Auch ein spannender Blick auf das Thema, der auch mir gar nicht bewusst war. Wir sprechen häufig darüber, wie Wahlen vor Desinformationen geschützt werden können, welche Pflichten wir insbesondere für die Zeit des Wahlkampfs wir den Plattformen auferlegen müssen. Doch was ist mit Friedensgesprächen? Eine unglaublich heikle Zeit und in Zeiten, in denen auch ein hybrider Informationskrieg mit Fake-Accounts und Troll-Netzwerken geführt wird, braucht es auch für diese Regeln:
That’s why social networks need a policy for peace talks — one that starts with being aware of them. Right now, Facebook staff sit down regularly to look at election calendars and decide which one could lead to violence, allocating company resources accordingly. But there is no process where the company looks out for countries entering into a delicate process of negotiations. This gap must be filled.
Companies wouldn’t need to reinvent the wheel. Many of the policies deployed by Facebook and Twitter around elections could be adapted to protect peace talks. Misinformation about talks could be labelled in local languages, with links to genuine information such as official statements by the UN. Content that aims to intimidate negotiators should be removed or labelled. All of this can be done in a way that still allows for legitimate criticism of the process.
That said, while social media companies clearly need to step up, we should be realistic about how much they will actually do to protect peace. However bad Libya’s civil war gets, it will never get as much attention as what happens in the US. There are also limits to how much social media “whack-a-mole” can achieve. Pulling down networks and accounts makes life harder for bad actors, but they’ll return in another guise before long. Labelling misinformation after it has appeared won’t change the minds of many.
Desinformation müssen dringend stärker auf die Agenda in der Außen- und Sicherheitspolitik. Auch das ist eine Förderung aus meinem oben verlinkten Papier 😉
In war zones, social media disinformation is costing lives | WIRED UK — www.wired.co.uk
Ohne einen Text zu einer Corona-App kommt dieser Newsletter ja nicht aus. Und gefühlt gab es die letzten Wochen keinen Tag ohne Hiobsbotschaft zur Luca-App. Ich werde mich definitiv weigern sie zu nutzen. Nicht nur der CCC hat kürzlich eine Bundesnotbremse für diese App gefordert, weil einfach zu viele eklatante Sicherheitslücken und Fehler im Design sind. Nun haben sich auch über 70 führende deutsche IT-Sicherheitsforscher:innen gegen die App ausgesprochen. Also mal nicht all wir “irren Datenschutz- bzw. Netz-Aktivist:innen”, wie man uns ja gerne bezeichnet. Die Kritik daran ist wirklich verheerend. Aber auch an den Verpsrechen der App und an der fehlenden Zielsetzung — die wohlgemerkt durch die Politik hätte vorgegeben werden müssen:
Die Forscherinnen und Forscher haben gleich mehrere Kritikpunkte an der App. Insbesondere die mit dem Luca-System verbundenen Risiken “erscheinen völlig unverhältnismäßig”, heißt es in der Erklärung. Die App erfasse “in großem Umfang” Bewegungs- und Kontaktdaten. Eine derart umfassende Datensammlung an einer zentralen Stelle berge ein massives Missbrauchspotenzial und das Risiko von gravierenden Datenleaks. Solche Systeme seien erfahrungsgemäß kaum vor Angriffen zu schützen, warnen die Sicherheitsforscher — selbst große Unternehmen scheiterten daran. “Es ist nicht zu erwarten, dass dies einem Start-up, das bereits durch zahlreiche konzeptionelle Sicherheitslücken, Datenleaks und fehlendes Verständnis von fundamentalen Sicherheitsprinzipien aufgefallen ist, besser gelingen sollte.” Und selbst wenn: “Die viel beworbene doppelte Verschlüsselung der Kontaktdaten liefert schon deshalb nicht die versprochene Sicherheit, da sich Bewegungsprofile der Nutzer:innen allein aufgrund der anfallenden Metadaten erstellen lassen.” Zu Metadaten kann zum Beispiel die IP-Adresse zählen oder die Information, wann jemand mit der Luca-App in einer Bar eingecheckt hat. Sprich: Über Luca könnte nachvollzogen werden, wo jemand wann war — und damit könnten möglicherweise auch Rückschlüsse auf die Person gezogen werden.
und
Aktuell lassen die Corona-Verordnungen der Länder eine alleinige dezentrale und anonyme Lösung nicht zu, wie sie beispielsweise die Corona-Warn-App ermöglicht, da die Gesundheitsämter personenbezogene Daten bekommen sollen. Sollten diese Verordnungen geändert werden? “Wichtiger ist, dass zunächst das Problem definiert wird, das gelöst werden soll”, sagt Ben Stock, Forschungsgruppenleiter am CISPA Helmholtz Center for Information Security, der die Erklärung ebenfalls unterzeichnet hat. “Meines Wissens gab es nie ein Statement seitens des RKI, welche Daten gebraucht werden.” Eine eindeutige Spezifikation sei aber die Voraussetzung für eine gute und sichere technische Lösung. “Wenn man das Problem klar definiert und entsprechende gesetzliche Vorgaben macht, dann gibt es viele gute Leute in Deutschland, die das bestmöglich machen.” Mit Luca sei der Prozess aber von hinten aufgezäumt worden: “Es gab eine App, bevor geklärt war, was wir lösen wollen.”
Klar definierte Ziele könnten auch vor enttäuschten Erwartungen schützen, sagt Tibor Jager, Professor für IT-Security und Kryptografie an der Bergischen Universität Wuppertal, der die Erklärung ebenfalls unterzeichnet hat. “Was mir und vielleicht auch anderen in der Community sauer aufgestoßen ist, ist das Versprechen der Macher der Luca-App, die Menschen aus dem Lockdown zu holen. Das kann keine App.”
Zudem sei nicht geprüft worden, ob es verhältnismäßig sei, dafür derart viele Daten zentral zu verarbeiten. “Man sollte mit wertvollen Ressourcen schonend umgehen: Zeit, Geld und Vertrauen der Bürger”, sagt Jager. Unter der Debatte um Luca würde auch der Ruf anderer digitaler Anwendungen leiden.
Wie sehr solche fehl geplanten und ohne Zielsetzung durchgepeitschten Digitalprojekte Schaden anrichten können, sieht man an einer Umfrage der Hertie-Stiftung. Die Datenschutzbedenken bei der Corona-Warn-App sind nur minimal kleiner als die bei der Luca-App. Dabei sammelt die CWA gar keine personenbezogenen Daten, wird von allen Datenschützern und IT-Sicherheitsexpertinnen gelobt. Da wurde medial durch Möchtegern-Experten und Politikerinnen wahnsinnig viel Vertrauen in das Produkt durch Schlechtreden kaputt gemacht. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber setzt sich zum Glück dafür ein, dass die CWA mit ihrer neuen Eincheckfunktion (nutzen!) rechtlich mit anderen Apps gleichgestellt wird. Sie kann auch viel besser und schneller reagieren, als Apps wie Luca — schließlich müssen sich hier die Gesundheitsämter erst durch einen Wust an Daten wühlen und dann betroffene Personen anrufen. Das alles in der Hoffnung, dass sie dafür Zeit haben und die Daten überhaupt brauchbar sind (auch das darf regelmäßig angezweifelt werden).
Forschende halten Risiken der Luca-App für “völlig unverhältnismäßig” — www.zeit.de
Seit Monaten schaue ich fast täglich in die Erinnerungsfunktion meines iPhones oder bei Instagram. Schwelge in Erinnerungen an offene Cafés, politische Abende, Zusammensein mit Freunden oder werde daran erinnert, dass ich die Haare definitiv nicht mehr so kurz schneide, wie ich sie zwischenzeitlich hatte. Die schlimmste Erinnerung war bisher mein Fahrrad, das ich mir vor ein paar Jahren kaufte, weil ich endlich mal Fahrradfahrerin werden wollte und mir dann nach nur zwei Tagen direkt aus dem Innenhof geklaut wurde. Dass unter den 40.500 Fotos (uff, ja) keines einer vorigen Beziehung ist, ist wohl Glück. Auch, wenn es bei mir ganz persönlich nicht schlimm wäre dran erinnert zu werden. Aber Lust darauf hätte ich nicht. Was aber macht diese Erinnerungsfunktion mit all denen, bei denen die Erinnerung an vorige Zeiten schmerzt? Vergangene Beziehungen, verstorbene nahestehende Menschen, verlorene Kinder? Die Journalistin Lauren Goodie hat das alles anhand ihrer abgesagten Hochzeit aufgezeigt. Und ihre lesenswerte Story zeigt auch, warum Privatsphäre, Datenschutz und eben die Unterbindung von Tracking-Cookies so wichtig ist. Die Hochzeit konnte abgesagt werden und war damit weg. Die Hochzeit konnte man einfach absagen und war damit weg. Die digitale Erinnerung an eine achtjährige Beziehung blieb täglich sichtbar.
Social media and photo apps were by now full-on services, infused with artificial intelligence, facial recognition, and an overwhelming amount of presumption. For months, photos of my ex appeared on the Google Home Hub next to my bed, the widgets on my iPad, and the tiny screen of my Apple Watch. So yeah: My ex’s face sometimes shows up on my wrist. As I write this, Facebook reminds me that nine years ago I visited him in Massachusetts and met his family’s dog.
But as frustrating as it was when old photos bubbled back up to the surface, I felt at least some agency in knowing I had been an active participant in their creation. Trying to wade through and manage wedding-specific accounts, ones I no longer had use for, felt like deep-diving into the dysphotic zone.
In einem Fall wie der abgesagten Hochzeit zeigt sich, Plattformen und ihre Algorithmen, das Retargeting von Werbung sind ausschließlich auf die Mehrheitserlebnisse ausgelegt. Eine Hochzeit wird gefeiert, ein Kind geboren. Es gibt keinen Button, der den Plattformen sagt “Lebensereignis beendet, bitte nichts mehr dazu zeigen”. Wird es wohl auch in absehbarer Zeit nicht.
That day, leaving Pinterest and walking back to my office, I realized it was foolish of me to think the internet would ever pause just because I had. The internet is clever, but it’s not always smart. It’s personalized, but not personal. It lures you in with a timeline, then fucks with your concept of time. It doesn’t know or care whether you actually had a miscarriage, got married, moved out, or bought the sneakers. It takes those sneakers and runs with whatever signals you’ve given it, and good luck catching up.
Die einzige Möglichkeit ist also, alles zu löschen. Nur: neben den unschönen Erinnerungen sind auch viele schöne dabei, die man gerne behalten möchte. Alles durchgehen ist wahnsinnig anstrengende mentale Arbeit. Ebenso wie alle Accounts zu löschen, damit man nicht mehr mit Erinnerungsmails belästigt wird.
ALL ALONG THERE was the option to go nuclear. The big delete. I could trash all my old photos in Apple’s and Google’s apps, obliterate accounts, remove widgets, delete cookies, and clear my browser cache again and again. I could use Instagram’s archive tool, tell any and every app I no longer wanted to see their crappy ads until they got the hint, and quietly unfriend and unfollow. I could turn off On This Day notifications in Facebook and untag my ex’s face.
I managed to do half the work. But that’s exactly it: It’s work. It’s designed that way. It requires a thankless amount of mental and emotional energy, just like some relationships. And even if you find the time or energy to navigate settings and submenus and customer support forms, you still won’t have ultimate control over the experience. In Apple Photos, you can go to Memories, go through the collage the app has assembled for you, delete a collage, untag a person or group of people, or tell the app you want to see fewer Memories like it. The one thing you can’t do? Opt out of the Memories feature entirely. Google’s options are slightly more granular: You can indicate that there’s a time period from which you don’t want to see photos, in addition to hiding specific people. Which works, I suppose, if the time period you’re considering isn’t eight years.
So ein Leben, dass online stattfindet, ist quasi immer da. Irgendwo im Datenraum. Und deswegen ist das mit der Datensparsamkeit, dem Recht auf Vergessen, Accounts löschen zu können, Privatsphäre und Datenschutz so wichtig. Manchmal bin ich echt froh, dass Smartphones doch erst recht spät in meinem Leben erfunden wurden.
I Called Off My Wedding. The Internet Will Never Forget | WIRED — www.wired.com
Homeschooling ist eine Katastrophe in den meisten Schulen — keine Frage. Und ich verstehe sehr, dass sich viele Eltern und Schüler:innen darüber aufregen, dass man pragmatische Lösungen nicht einsetzen darf, weil sie gegen die Datenschutzgesetzgebung verstoßen. Das Problem heißt aber nicht Datenschutz, sondern seit Jahrzehnten verschleppte Digitalisierung des Bildungswesens. Mit der Wut sind also nicht die Datenschutzbeauftragten zu adressieren, sondern die Bildungsministerien (ich frage mich wirklich, warum es immer der Datenschutz abbekommt und nicht die eigentlichen Verursacher). Warum es auch nicht klug ist, jetzt auf pragmatische Lösungen zu setzen, wird in diesem Artikel ausführlich beschrieben. Denn einmal eingeführte Lösung bleiben — bei Software und Hardware. Das heißt, man sollte grundlegender darüber nachdenken, was man einführt und was nicht. Nur: die Pädagog:innen an den Schulen werden damit häufig alleine gelassen, stehen unter Zeitdruck und es gibt weder Fachpersonal an den Schulen, noch Konzepte von den Ministerien. Bei Lösungen, für die ich mich heute schnell entscheide, habe ich aber häufig einen Lock-In-Effekt. D.h. einmal für eine Hard- oder Software entschieden, komme ich da nicht mehr raus. Denn sie sind zum Beispiel nicht interoperabel. Ganze Generationen werden so auf einen oder wenige Hersteller getrimmt. Bietet ein Anbieter seine Software nicht mehr an, sind zig Daten und Informationen, aufgebaute Lernräume etc. verschwunden oder unbrauchbar. Deswegen sollten Schulen — ebenso wie die Verwaltung — auf Open-Source-Lösungen setzen.
Zu beobachten war dies zu Beginn der Pandemie, als das Videokonferenztool von Teams noch nicht über Breakout-Räume verfügte. Den Lehrkräften und Schüler:innen blieb nur das Verzichten auf Gruppenarbeiten und ein Warten auf das entsprechende Update. Somit musste sich Pädagogik und Didaktik nach der Technik richten anstelle umgekehrt bei gleichzeitiger Einnahme einer passiven Konsumentenhaltung, welche die digitale Mündigkeit gefährdet.
Und wer weiß heute, ob OneNote eines Tages eingestellt wird oder ob ein Unternehmen pleitegeht? Wenn Lehrkräfte ihr gesamtes Material in solchen geschlossenen Systemen erstellen, könnte das ein echtes Problem werden. Das haben die Nutzer:innen von “Padlet”, einer digitalen Pinnwand, im vergangenen Jahr gemerkt. Das Tool erfreute sich großer Beliebtheit bis es kostenpflichtig wurde und man seine Datenschutzprobleme aufdeckte. Viel Material und viele Arbeitsstunden gingen verloren.
Open Source würde es hier nämlich möglich machen, dass einfach andere Softwareentwickler:innen die Produkte weiter entwickeln. Man ist nicht abhängig von einem Softwarehaus. Außerdem kosten die Lizenzen eine Menge Geld (sehen wir bereits in der Verwaltung). Geld, dass in die Weiterentwicklung freier Software gesteckt werden kann, um eine nachhaltige und unabhängige Digitalisierung des Bildungswesens zu gewährleisten.
Viele der durch Schulträger und Bildungspolitik ausgelösten Fehlentwicklungen und Irrfahrten, bei denen Software erst eingesetzt werden muss und dann wieder verboten wird, werden auf den Schultern der ohnehin überlasteten Lehrkräfte ausgetragen. Die oft von Lehrkräften oder Dritten geäußerte Folgerung, dass der Datenschutz daran schuld sei, ist jedoch falsch. Der Datenschutz ist ein essenzielles Grundrecht. Wenn dieses mit Einführung von bestimmten Technologien mit Füßen getreten wird, sollte die Kritik korrekterweise an Schulträger und Bildungspolitik adressiert werden.
Zudem wird behauptet, dass die Auswahl der Software und Hardware alternativlos sei und dass Datenschutzverstöße von Firmen wie Microsoft geduldet werden müssten, damit der Unterricht auf Distanz weitergehen kann. Zahlreiche funktionierende Gegenbeispiele beweisen, dass dem nicht so ist. Dabei wird gerne verschwiegen, dass die Entscheider:innen diese scheinbare Vormachtstellung selbst provoziert haben. Denn anstelle immer weiter Lizenzgebühren zu bezahlen, könnte man dieses Geld in Weiterentwicklung und Schulung von freier Software investieren.
Auch hier: Kritiker:innen kritisieren nicht aus Spaß an der Freude, sondern weil hier grundlegendes entschieden wird, das das Bildungswesen und die Kinder auf Jahrzehnte prägen wird. Beim Legen eines Fundaments eines Hauses machen wir ja auch nicht irgendetwas Pragmatisches, wissentlich gegen Bauvorschriften verstoßendes mit der Überzeugung, irgendwann nochmal das Fundament unter dem Haus neu und ordentlich machen zu wollen, oder?
Schule digital: Wie ein Lock-In an Schulen der Gesellschaft schadet | heise online — www.heise.de
WHAT TO HEAR
Mind the Tech — True Crime aus dem Internet — Podcast — mind-the-tech.podigee.io
Auch in der Welt der Nullen und Einsen gibt es viele schwarze Schafe: Sie schleichen sich in Netzwerke ein, knacken persönliche Profile, kapern Webseiten — um nur einige ihrer Delikte zu nennen. Bei Mind the Tech, dem True Crime Podcast mit digitaler Note, tauchen wir ein in die Welt der Hacker, Internetbetrüger und Identitätsdiebe. Wir finden heraus, wie sie gearbeitet haben, was sie angetrieben hat und welche Folgen ihr Handeln nach sich zieht: sowohl für sie selbst als auch für ihre Opfer.
WHAT TO WATCH
Super Doku gerade bei Netflix mit vielen Frauen, die hier im Newsletter schon oft Erwähnung fanden: Coded Bias.
WHAT TO STREAM
“Politik zwischen like und hate — Wie verändert Digitalisierung den gesellschaftlichen Diskurs?” — www.degepol.de
“Politik zwischen like und hate — Wie verändert Digitalisierung den gesellschaftlichen Diskurs?” mit Anja Mayer, Die Linke Ann Cathrin Riedel, FDP Caroline Krohn, Bündnis90/Die Grünen Isabel Cademartori, SPD Wiebke Winter, CDU Teil 2 der Eventreihe: Statt der K-Frage stellen
5 Mai 2021, 17:30 19:00 Uhr
WHAT TO READ
Twitter censored tweets critical of India’s handling of the pandemic at its government’s request.
Sicherheitslücke: Daten tausender Corona-Getesteter ungesichert im Netz.
IT-Sicherheitsgesetz 2.0 und Telekommunikationsgesetz. Was heißt hier eigentlich schnelles Internet?
Europe’s Capacity to Act in the Global Tech Race — Paper von Tyson Barker und Kaan Sahin.
Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar hat im Zusammenhang mit den neuen WhatsApp-Nutzungsbedingungen ein Verfahren gegen Facebook eröffnet. Das Ziel sei es, dass das weltgrößte Internet-Netzwerk keine Daten von WhatsApp-Nutzern mehr erheben und zu eigenen Zwecken verarbeiten dürfe.
From California to Brazil: Europe’s privacy laws have created a recipe for the world.
Microsoft steht vor Prestigeprojekt mit der Bundesregierung — Kritiker sind alarmiert.
Falsche Trainingsdaten verzerren Güte-Einschätzung von KI-Modellen.
Tui plane in ‘serious incident’ after every ‘Miss’ on board was assigned child’s weight.
Israel appears to confirm it carried out cyberattack on Iran nuclear facility.
“Instagram wird nicht so schnell unsexy werden” — Interview mit Martin Fuchs.
Loop Giveaways: Das Riesengeschäft mit echten Followern auf Instagram.
The 21st century Victorians — Interview on Internet censorship with Jillian York.
You can now appeal for Facebook’s Oversight Board to take down bad posts.
Die Stigmatisierung wirkt. Wer eine rechtsextremistische, rassistische Bewegung zurückdrängen will, muss sie ausgrenzen. Die Reaktionen der AfD zeigen, dass ihr genau das Probleme bereitet.
Sie sehen sich plötzlich so ähnlich. Warum noch mal können sich FDP und Grüne nicht leiden? Wie das Bedürfnis nach einer Modernisierung des Landes die einstigen Lieblingsgegner zusammenbringt.
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