Frohes neues Jahr! 🎉
Ich hoffe, Ihr seid alle gut hineingerutscht ins neue Jahr. Bei mir war es, wie im ganzen Dezember, sehr sehr ruhig, was auch sehr gut und auch nötig war, nach diesem Jahr. Man wird ja sehr zögerlich mit dem Wunsch, dass das nächste Jahr hoffentlich besser wird und weniger schlechte Nachrichten die Stimmung drücken, aber hoffen wir das Beste. Es bleibt einem ja auch nicht viel mehr übrig als zu hoffen und sich immer wieder darin zu üben, die Hoffnung nicht zu verlieren.
Ich habe in den letzten Wochen viel häufiger das Handy zur Seite gelegt, Social-Media-Apps gelöscht und die Emails vom Homescreen verbannt. Was für eine Erleichterung. Man muss wirklich nicht immer erreichbar sein und es tut dem Gemüt wahnsinnig gut, nicht ständig mit Reizen und vor allem Nachrichten geflutet zu werden. Stattdessen habe ich mehr Bücher gelesen — vor allem konzentrierter. Ein Vorhaben auch für dieses Jahr, das beizubehalten und das Telefon dafür auch ganz weit wegzulegen. Wer noch ein paar mehr Vorschläge sucht, um sein oder ihr Leben 2022 ein bisschen besser zu machen, findet hier beim Guardian 100 tolle Vorschläge (Vorschlag 8 bitte lassen).
Hier das, was ich gelesen habe und empfehlen kann:
Robin Alexander: Machtverfall. Fragte mich zwar regelmäßig, wie der an die Infos, gerade aus Zweiergesprächen kam, aber nun ja. Liest sich super leicht weg und gibt spannende Einblicke in die Union.
Maja Göpel: Unsere Welt neu denken. Spannende Impulse für ein Überdenken unseres ökonomischen Handelns und unserer Annahmen.
Rafael Laguna de la Vera, Thomas Ramge: Sprunginnovation. Was sind eigentlich Sprunginnovationen, was ist eigentlich wirklich innovativ und warum müssen wir auch als Staat Innovationen fördern? Super spannendes und aufschlussreiches Buch.
Alexander Bogner: Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet. Super aktuell und super wichtig, wie ich finde. “Wir müssen auf die Expert:innen hören!” hört sich zwar richtig an, Politik machen ist aber nicht auf “die Expert:innen”™ hören, sondern ein Aushandeln zwischen verschiedenen Positionen und Erkenntnissen aus diversen Disziplinen.
Tim Marshall: Die Macht der Geographie im 21. Jahrhundert. Habe mir nie so viele Gedanken über die Bedeutung der Geographie gemacht, aber klar, sie hat massive Auswirkungen auf die Politik eines jeden Landes. Sehr spannende Perspektiven.
Parag Khanna: Unsere asiatische Zukunft. Habe ich noch nicht ganz durch, aber kann ich schon jetzt sehr empfehlen. Zugegeben war für mich “Asien” auch immer ein ziemlich einheitlicher Kontinent. Viel beschäftigt habe ich mich mit ihm nicht. War verdammt falsch und bin nun eines Besseren belehrt — und sehr viel schlauer.
Bevor es jetzt aber zum Lesen der Bücher geht, erstmal mein neuer Newsletter für Euch, der, so hoffe ich, 2022 nicht mehr voller Frustration über die Digitalpolitik der Bundesregierung sein wird. Vielmehr bin ich (und auch LOAD) sehr, sehr zuversichtlich, dass das gut wird. Die Vorratsdatenspeicherung soll ja schonmal abgeschafft werden. Halleluja! Mehr dazu unten in der Linksammlung. Viel Spaß und ein gutes, gesundes neues Jahr für Euch. Mit viel Liebe und Herz.
Ann Cathrin 🌱
WHAT TO KNOW
Telegram wollten mal wieder einige regulieren. Weil — huch so plötzlich — rauskam, dass dort Mordaufrufe geteilt werden und sich dort Nazis und Querdenker versammeln, organisieren und ihre Desinformation und Verschwörungen verbreiten. Von Netzsperren bis Rausschmissen aus den App-Stores war so ziemlich alles dabei. Mir ist das zu platt — das habe ich in einem Interview bei Netzpolitik erzählt. Meiner Meinung nach geht die Diskussion immer völlig weg von den eigentlichen Problemen und Schwachstellen. Journalist:innen konnten herausfinden, dass dort Mordaufrufe verbreitet werden — warum sie und nicht Ermittlungsbehörden? Ich glaube, wir müssen unseren Rechtsstaat viel mehr stärken, aber eben nicht mit Staatstrojanern und Co, sondern mit Beamt:innen, die in der Lage sind, auch auf diesen Plattformen zu ermitteln. Wie viel da schiefgehen kann, hat man ja unter anderem bei Attila Hildmann gesehen. Viel zu spät ist erst was passiert — und Attila Hildmann ist kein Pseudonym. Dort passiert so viel unter Klarnamen, wir könnten einiges tun. Da müssen wir ansetzen, darüber müssen wir reden. Alles andere sind Pseudo-Diskussionen mit Maßnahmen, die nichts bringen (Verbannen aus dem App Store heißt nur, dass es keine Updates mehr gibt, die App ist schon auf dem Smartphone und kann weiter genutzt werden) und vor allem nicht die Ursache bekämpfen. Nazis hören nicht auf Nazis zu sein, nur weil man ihnen den einen Messenger nimmt (sollte das denn überhaupt gehen).
Von der ganzen umfassenden rechtlichen Problematik habe ich nicht geredet (habe ich auch keine Ahnung von). Dafür sollte man aber diesen sehr interessanten und vor allem für nicht-Jurist:innen wie mich auch sehr aufschlussreichen Text von Erik Tuchtfeld auf dem Verfassungsblog lesen.
Interview zu Telegram — “Netzsperren und Rausschmiss aus den App-Stores — das ist mir zu platt” — netzpolitik.org
Eine Sache, die genau darauf aufbaut. Probleme, die sich durch das Digitale kristallisieren, werden nicht weggehen, wenn man das Digitale irgendwie “repariert”. Das ist ein ganz spannender Text über Menschen, die unglücklich, elend und miserable sind — oder sich so fühlen. Die finden über das Netz andere, Gleichgesinnte, und ziehen alle so runter.
But the technology is only part of the battle. Think of it in terms of supply and demand. The platforms provide the supply (of fighting, trolling, conspiracies, and junk news), but the people — the lost and the miserable and the left-behind — provide the demand. We can reform Facebook and Twitter while also reckoning with what they reveal about the nation’s mental health. We should examine more urgently the deeper forces — inequality, a weak social safety net, a lack of accountability for unchecked corporate power — that have led us here. And we should interrogate how our broken politics drive people to seek out easy, conspiratorial answers. This is a bigger ask than merely regulating technology platforms, because it implicates our entire country.
Das Problem von Social Media ist, dass es diese ganzen klagenden Menschen zusammenbringt, sich Communitys bilden und sich das Leid, die Probleme in Hass umschlagen.
Ample evidence suggests that alienated and angry people have built communities around shared grievances. More broadly, millions of Americans feel left behind, under siege, and out of opportunities. The acceptance and fellowship that online communities bring, be they subreddits and Facebook groups or anonymous message boards, allow grievance to harden into a full-fledged identity. Under the influence of true believers and cynical grifters alike, these feelings frequently turn to hate.
Es spricht also nochmal mehr dafür, dass unsere Probleme zu komplex sind, als dass wir sie mit einer vermeintlich einfach Regulierung von Plattformen lösen könnten.
Social Media Gave the Miserable a Voice — The Atlantic — www.theatlantic.com
Desinformationen auf Facebook, Twitter, YouTube und eben Telegram. Aber in Schwangerschaftsapps? Jup, auch da. Und für die Verbreiter solcher auch recht klug, sich diese kleinen Communitys zu suchen. Eine App aus den USA, mit der man seiner Schwangerschaft verfolgen kann, die eine angeschlossene Community für werdende Eltern hat, hat erheblich mit Impfgegnern und Impf-Verschwörungen zu kämpfen. So eine Plattform mit einer sehr sensiblen und verunsicherten Community — man hat ja so viele Fragen, gerade beim ersten Kind und will natürlich nichts falsch machen — ist ein idealer Nährboden für nachhaltige Impfgegnerschaft. Diese Plattformen und die dort verbreiteten Desinformationen finden aber in der öffentlichen Debatte kaum statt und auch die Regulierung dieser, bzw. die Aufsicht über die Durchsetzung dort, ist wohl eher gering. Die App “What to Expect” hat selber die Anzahl an Moderator:innen erhöht und die Regeln dort geändert, um dem Problem Herr zu werden. Aber es stellen sich auch dort wieder die Fragen, was eigentlich noch legitim ist und was nicht — und wer das eigentlich zu entscheiden hat. Nischenplattformen und Nischencommunitys müssten meiner Meinung nach viel stärker in den Blick genommen werden, was die Verbreitung von Desinformation und Verschwörungen angeht (womit ich nicht meine, dass sie reguliert werden müssen). Aber es ist wie das Pastell-Instagram — eine vermeintlich heile Welt, in der sehr viel Fragwürdiges (übrigens auch häufig rechtes) Gedankengut verbreitet wird.
Vaccine misinformation has run rampant on pregnancy apps — The Washington Post — www.washingtonpost.com
Von der Log4j-Sicherheitslücke von kurz vor den Feiertagen habt Ihr wahrscheinlich auch mitbekommen. Eine Sicherheitslücke, die wahnsinnig viele Produkte mit Software betroffen hat, bzw. betrifft. Eigentlich alle, die die Programmiersprache Java benutzen — und das tun ziemlich viele. Log4j ist eine Protokollierungsbibliothek und Open Source. Open Source kam dadurch wieder in Verruf, weil es angeblich nicht sicher sei, weil Software besser sei, wenn Menschen dafür Geld bekämen. Das ist nicht der Fall (Zum Jahreswechsel gabs im Microsoft-Exchange-Server auch wieder Probleme, Sicherheitslücken in Windows haben auch schon enorme weltweite Schäden verursacht…). Ziemlich viel läuft auf Open-Source-Software. Sogar viel Technologie, auf deren Basis die Angebote der großen Tech-Konzerne laufen (die aber kein Open Source sind). Linux ist beispielsweise Open Source und das läuft auf sehr vielen Servern. Eigentlich besteht ein Großteil der Basis unserer Infrastruktur aus Open-Source-Software und was daran das Problem ist, das hat in dem unten verlinkten Interview Adriana Groh erklärt, die sich für einen Sovereign Tech Fund einsetzt, der jetzt auch vom Wirtschaftsministerium gefördert werden soll. Diese Karikatur zeigt übrigens schön, worum es bei dem Fund geht:
Was ich daran so wichtig finde ist, dass wir uns nicht immer nur über die fancy neuen Sachen kümmern können, sondern uns viel mehr mit den Grundlagen unserer digitalisierten Welt beschäftigen müssen. Denn wenn das mit dem Fundament nicht ordentlich ist, dann wird das keine stabile Zukunft werden.
“Wir rasen an metertiefen Schlaglöchern vorbei, ohne es zu merken” — www.zeit.de
Wenn man was davon mitbekommen hat, dann nur, dass die niederländische Regierung aufgrund eines Skandals — vielleicht noch Kindergeldskandals — zurücktreten musste (und sich mittlerweile wieder neu gefunden hat). Dass dieser Kindergeldskandal aufgrund eines algorithmischen Systems mit einem erheblichen Bias und rassistischen Annahmen passierte, davon war kaum die Sprache. Ich hatte diesen Artikel von Vice einmal in diesem Newsletter, der sehr eindrucksvoll darstellt, was passierte und wie die Einzelschicksale aussehen. Ich finde das sehr problematisch, wenn diese algorithmischen Systeme, die ursächlich für einen Rücktritt einer Regierung wurden, nicht erwähnt werden. Das müsste eigentlich Grundlage für breitere gesellschaftliche Debatten sein. Über das was wir wollen und was nicht. Und wie wir besser den Einsatz solcher Systeme insbesondere in der Verwaltung kontrollieren können. Die niederländische Finanzbehörde ist nun zu einem Bußgeld verurteilt worden, da sie gegen die DSGVO verstoßen hat. Die betroffenen Personen bekommen eine Entschädigung. Die kann aber wie so häufig nicht alles wieder gut machen.
Kindergeldaffäre — Niederlande zahlen Millionenstrafe wegen Datendiskriminierung — netzpolitik.org
WHAT TO HEAR
Unter Pfarrerstöchtern | Podcast on Spotify — open.spotify.com
Listen to Unter Pfarrerstöchtern on Spotify. Wie einsam war Gott vor der Schöpfung? Warum aß Eva vom verbotenen Apfel? Und was hat die Sintflut mit dem Klimawandel zu tun? Die Schwestern Sabine Rückert, stellvertretende Chefredakteurin der ZEIT, und Johanna Haberer, Theologieprofessorin, sprechen über die Bibel. Sie erzählen all jene Geschichten, mit denen sie als Pfarrerstöchter aufgewachsen sind — und räumen dabei auf mit Kitsch und Klischees. Und sie fragen: Was sagen uns die uralten Mythen der Bibel heute? „Unter Pfarrerstöchtern“ will niemanden bekehren, sondern erzählen und zum Nachdenken anregen: Was steht eigentlich drin im Buch der Bücher, das seit Jahrtausenden die Weltgeschichte prägt? Dieser Podcast wird produziert von Pool Artists
WHAT TO WATCH
Die Unbeugsamen — Gefährdete Pressefreiheit auf den Philippinen — Film in voller Länge | ARTE — www.arte.tv
Mit der Amtsübernahme von Präsident Rodrigo Duterte begann auf den Philippinen eine mörderische Kampagne. Seit 2016 wurden zehntausende Drogenabhängige und Unbeteiligte von Todesschwadronen ermordet. Die nun mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Journalistin Maria Ressa gehört zu den letzten Unbeugsamen, die die Hintergründe der Morde aufdecken.
WHAT TO READ
LOAD begrüßt Ampel-Koalitionsvertrag: Die Messlatte für Bürgerrechte und IT-Sicherheit wird hochgelegt.
Bundesjustizminister will Vorratsdatenspeicherung endgültig abschaffen.
EU-Studie: Open Source stärkt die Wirtschaft und die technologische Unabhängigkeit.
Birds Aren’t Real, or Are They? Inside a Gen Z Conspiracy Theory.
“World Doctors Alliance”: Superspreader der Desinformation.
Facebook sued for $150 billion over violence against Rohingya in Myanmar.
Facebook says 50,000 users were targeted by cyber mercenary firms in 2021.
Interoperabilität von Whatsapp, Signal oder Telegram: Monopol-Kommission rät von übergreifender Messenger-Nutzung ab.
EU-Abgeordnete wollen Manipulationstechniken im Netz verbieten.
Amazon agreed to allow only five-star reviews for Xi’s book in China.
A Digital Manhunt: How Chinese Police Track Critics on Twitter and Facebook.
The New Political Cry in South Korea: ‘Out With Man Haters’.
Nachrichten aus der Heimat. Wozu man Roboter braucht: Amtsgericht Pinneberg einsturzgefährdet: Roboter bergen Akten.
Ursachen von Depressionen. Leben in einer Leistungsgesellschaft.
Stephan Anpalagan: “Nicht nur in privatwirtschaftlicher, auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht ist es die Vielfalt, die Erfolg, Vermögen und Wohlstand garantiert.” Because it’s 2021!
“Wer sich hier jeden Tag einen Reim auf die Nachrichten macht, der kann nicht anders als mit Sorgen nach vorne schauen”, sagt Claus Kleber in seiner letzten heute Sendung beim heute journal.
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